Ein Ring von Tiffany - Roman
So eine Laptoplappalie wird ihn schon nicht aus den Latschen hauen.« Beiden war klar, dass es nicht bloß eine Lappalie war, aber sie gingen stillschweigend darüber hinweg. »Und jetzt erzähl, was sagen denn die anderen dazu? Sind sie total aus dem Häuschen?«
Leigh berichtete brav, wie ihre Mutter, Adriana und Russells Familie die Neuigkeit aufgenommen hatten, und streute an den passenden Stellen sogar ein paar kleine Scherze ein. Erst nachdem das Gespräch beendet war, kamen Emmy leise Bedenken. Konnte es sein, dass es zwischen Leigh und Russell tatsächlich kriselte? Zweifelte Leigh womöglich ernsthaft an ihrer Entscheidung? Auf gar keinen Fall , lautete ihr Schluss. Sie ist bloß nervös. Es ist der Schock, die Aufregung, mehr steckt nicht dahinter. Sie war sich ganz sicher: Sobald Leigh über die erste Überraschung hinweg war, würde sie sich wieder beruhigen. Emmy beugte sich erneut über ihren Computer und versuchte, allen Mut zusammenzunehmen, um bei dem feindseligen Kellner noch einen Kaffee zu bestellen.
»Pardon?« Eine Männerstimme, dicht hinter ihrer rechten Schulter. Emmy reagierte nicht. Bestimmt war es nur wieder ein Hotelangestellter, der sie zusammenstauchen wollte.
»Entschuldigen Sie«, wiederholte die Stimme. »Bitte verzeihen Sie die Störung.«
Emmy sah hoch und setzte dabei vorsichtshalber schon einmal ihre gereizteste Miene auf. Doch sie hatte kaum ein rüdes »Ja?« geknurrt, da hätte sie es am liebsten wieder zurückgenommen. Der Mann, der zu ihr hinunterblickte, war von einer klassisch dezenten Attraktivität - dichtes, dunkles Haar, Lachfältchen um die Augen, blendend weißes Lächeln. Nicht zum Niederknien und auch nicht filmstarsexy, aber vom Aussehen und vom Auftreten her doch so anziehend, dass es wohl - davon war Emmy überzeugt - auf dem ganzen Planeten keine zurechnungsfähige Frau gab, die nicht auf ihn abgefahren wäre.
»Hi«, murmelte sie. Bingo , dachte sie. Tour-d’amour-Kandidat Nummer eins.
Noch immer lächelnd deutete er mit einem fragenden Blick auf den Sessel neben ihr. Emmy nickte stumm und betrachtete ihn, während er Platz nahm, noch ein bisschen genauer. Er war jünger, als sie im ersten Augenblick gedacht hatte, vielleicht noch keine dreißig. Bei ihrer Blitzmusterung, die ihr im Lauf der Jahre fast zur zweiten Natur geworden war, kamen nur Pluspunkte heraus. Ein elegant geschnittener und trotzdem sportlicher Pullover in Marineblau über einem weißen Oberhemd. Eine Designerjeans, die dankenswerterweise weder von eingearbeiteten Rissen und grellweißen Bleichstellen noch von Logos, Nieten, Stickereien oder aufgesetzten Taschen verunstaltet war. Schlichte, aber elegante braune Halbschuhe. Nicht zu groß und nicht zu klein, durchtrainiert, aber kein Muskelprotz, gepflegt und doch maskulin. Wenn sie irgendetwas an ihm hätte kritisieren müssen, dann höchstens, dass die Jeans eine Spur zu eng saß. Aber andererseits … Wenn man es darauf angelegt hatte, europäische Männer zu verführen, musste man sich wohl mit engen Jeans abfinden.
Nachdem er sie zuerst angesprochen hatte und die einzigen männlichen Wesen, mit denen sie in Frankreich bis jetzt mehr
als ein Wort gewechselt hatte, samt und sonders Hotelangestellte gewesen waren, fasste sie sich ein Herz und stellte sich vor: »Ich heiße Emmy.«
Er gab ihr die Hand. Keine Ringe, keine abgekauten Fingernägel, kein transparenter Lack - alles gute Zeichen. »Paul Wyckoff. Ich hab zufällig vorhin mit angehört, was dieser Trottel zu Ihnen gesagt hat.«
Verdammt. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Knallenge Jeans hin, gute Umgangsformen her, dieser Paul hatte allen ihren Wünschen zum Trotz einen eindeutig amerikanischen Akzent. Er war ein waschechter US-Boy. Oder allerhöchstens Kanadier. Emmy war bitter enttäuscht.
»Unglaublich, was?«, sagte er. »Ich wundere mich jedes Mal aufs Neue, wie viel Geld die Leute zu zahlen bereit sind, um sich so mies behandeln zu lassen.«
»Dann bin ich nicht die Einzige?«, fragte Emmy erleichtert. Anscheinend hatte das Hotel nicht nur sie allein auf dem Kieker.
»Ganz und gar nicht«, versicherte ihr Paul. »Hier werden alle Gäste schikaniert. Das ist das Einzige, worauf in diesem Haus Verlass ist.«
»Vielen Dank für die Info. Ich hab schon langsam Komplexe gekriegt.«
»Gern geschehen. Als ich das erste Mal hier gewohnt habe, war ich ein paranoides Wrack. Meine Eltern haben uns durch die ganze Welt geschleppt - wir sind praktisch in Hotels aufgewachsen
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