Ein Ring von Tiffany - Roman
sie sich anhand dieses einen Raums bereits in das ganze Haus verliebt hatte, seufzte sie pathetisch und sagte: »Jesse, Jesse, Jesse... haben Sie tatsächlich Ihre gesamten
Einkünfte für Kokain und Nutten verjubelt, wie die Klatschpresse immer behauptet?«
Er schüttelte den Kopf. »Kokain, Fusel und Nutten.«
»Dann betrachten Sie meine Frage als gegenstandslos.«
»Okay, also, sollen wir loslegen? Ich arbeite meistens drau ßen, in dem Bereich, der vom Wohnzimmer abgeht. Wie wär’s? Sie machen es sich da schon mal gemütlich, und ich bringe uns was zu trinken?« Er öffnete den Kühlschrank und beugte sich zur Seite, um den Inhalt zu begutachten. »Mal sehen. Ich habe Bier da, einen beschissenen Weißwein, einen nicht ganz so beschissenen Rosé und alles, was man für eine Bloody Mary braucht. Für einen Roten ist es wohl noch ein bisschen zu früh, oder was meinen Sie?«
»Ich finde, es ist für all das noch reichlich früh. Ich hätte gern eine Cola Light.«
Jesse schnippte mit den Fingern und nahm eine halbvolle Flasche Wodka aus dem Kühlschrank. »Ausgezeichnete Wahl. Eine Bloody Mary, kommt sofort.«
Sie wusste bereits, dass es keinen Sinn hatte, mit ihm zu streiten, und außerdem sah er aus, als bräuchte er dringend einen Drink, um dem Kater vom Vorabend die Krallen zu stutzen. Sie erinnerte sich vage an das Gefühl. Damals, in den ersten Jahren nach dem College, in der großen Stadt, als sie noch in der Verfassung gewesen war, bis drei zu saufen und trotzdem um neun in der Arbeit zu sein, hatte sie sich gegen die Kopfschmerzen manchmal auch ein paar Schlückchen Wein zum Frühstück genehmigt. Sie erinnerte sich an all die Nächte mit Emmy und Adriana, in denen sie um die Häuser gezogen waren, von Happy Hours zu Geburtstagspartys, zu viel getrunken und geraucht und zu viele namenlose, gesichtslose Jungs geküsst hatten. Mein Gott, das schien eine Ewigkeit her zu sein... die sieben, acht Jahre kamen ihr vor wie ein halbes Leben. Mittlerweile war Schluss mit den haushohen Absätzen (wieso hatte sie sich je mit so etwas gequält?), an die Stelle der rappelvollen
Bars waren sehr viel zivilisiertere Restaurants getreten (Gott sei Dank), und sie wusste beim besten Willen nicht zu sagen, wann sie das letzte Mal eine Nacht durchgemacht hatte, es sei denn wegen dringender Termine oder Schlaflosigkeit. Aber zum Teil waren diese glücklichen Erinnerungen wohl auch rückwärtsgewandte Verklärungsversuche. Anders konnte es doch wohl kaum sein? Damals hatte sie schließlich noch keinen prestigeträchtigen Job, keine eigene Wohnung und ganz sicherlich keinen sie auf Händen tragenden Verlobten gehabt.
Leigh schritt durch das von einem Oberlicht erhellte Wohnzimmer und zog die Schiebeglastür auf, hinter der sich ihrem Blick eine der reizvollsten Freiflächen bot, die sie je gesehen hatte. Es war weniger ein simpler Garten als vielmehr eine Oase mitten im Wald. Turmhoch emporragende Eichen und Ahornbäume umschlossen eine schöne, aber nicht übertrieben ordentlich gestutzte Rasenfläche. Ein kleiner Pool, der von zwei Liegen, einem Tisch und Stühlen flankiert wurde, verschmolz so gänzlich mit dem Hintergrund, dass sich alle Aufmerksamkeit auf die wahre Attraktion richtete: einen traumhaften Teich von vielleicht sieben mal zehn Metern, mit einer schwimmenden, gepolsterten Plattform zum Sonnen und einem am Ufer vertäuten, schlichten Ruderboot aus Holz. Hinter dem Teich, direkt an der Grundstücksgrenze, beschatteten Laubbäume ein balinesisch anmutendes Liegesofa aus Teakholz, das reichlich Platz für zwei Personen bot und von einem Baldachin gegen die Sonne geschützt war. Leigh musste sich schwer zusammenreißen, um nicht auf der Stelle hinzugehen und sich darauf niederzulassen. Sie fragte sich, wie Jesse an einem so wunderschönen, zur Entspannung einladenden Ort jemals zum Arbeiten kam.
»Nicht schlecht, hm?«, fragte er, trat zu ihr auf die Terrasse und reichte ihr eine Bloody Mary, mit Selleriestängel und Limette.
»Meine Güte, von außen - oder eigentlich auch von innen -
sieht es nicht groß nach was aus, aber das hier... das hier ist wirklich grandios.«
»Danke. Finde ich auch.«
»Nein, wirklich, haben Sie mal überlegt, das alles fotografieren zu lassen? Ich könnte es mir gut in so einem Designmagazin vorstellen. In Dwell zum Beispiel. Das hier wäre absolut perfekt für Dwell .«
Er fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar und nahm einen Schluck Budweiser aus der Flasche.
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