Ein Ring von Tiffany - Roman
Er nahm einen zünftigen Schluck aus seiner Wasserflasche.
Erleichtert, dass er ihr ein Hintertürchen geöffnet hatte, auf das sie selbst so schnell nicht verfallen wäre, antwortete Leigh ausweichend: »Ich habe erst siebzig Seiten geschafft und würde lieber warten, bis ich ganz damit durch bin.« Sie hüstelte.
Unter Jesses durchdringendem Blick wurde ihr unbehaglich zumute. Er schien in ihrer Miene nach verräterischen Anzeichen zu suchen, und nach knapp einer Minute spürte sie, wie sie rot wurde. Er schwieg immer noch.
»Tja, ich, äh, sollte dann wohl mal im Hotel einchecken«, sagte Leigh und ließ ihre Zigarette in die Wasserflasche fallen, die Jesse zum Aschenbecher umfunktioniert hatte.
»Tun Sie das.«
»Soll ich danach wieder herkommen, oder möchten Sie lieber, dass wir uns woanders treffen? Im Hotelfoyer? In einem Café? So um vier, halb fünf, wie klingt das?« Die Spannung war mit Händen zu greifen. Kein Wort weiter , befahl sie sich nervös.
»Kommen Sie wieder her, aber erst, wenn Sie mit dem Manuskript fertig sind.«
Leigh lachte, erkannte jedoch schnell, dass es Jesse ernst war. »Ich brauche noch mindestens fünf, sechs Stunden, um es ganz durchzulesen. Wir könnten doch wenigstens schon mal über die Zeitplanung sprechen.« Leigh wurde klar, dass sie sich anhörte, als würde sie ihn um Erlaubnis bitten; also legte sie so viel Autorität wie möglich in ihre Stimme und sagte: »Henry hat mir überdeutlich zu verstehen gegeben, dass an dem Abgabetermin nicht zu rütteln ist.«
»Leigh, Leigh, Leigh.« Irgendwie klang er enttäuscht. »An jedem Abgabetermin ist zu rütteln. Bitte lesen Sie das Manuskript. Kommen Sie wieder, wann immer Sie damit durch sind. Wie Sie sich denken können, gehe ich nicht früh zu Bett.«
In einem halbherzigen Versuch, lässig Haltung zu bewahren,
raffte sie achselzuckend ihre Siebensachen zusammen. »Wenn Sie bis in die Puppen aufbleiben wollen - mir soll es recht sein.«
Er zündete sich eine neue Zigarette an und lehnte sich zurück. »Nicht böse sein, Leigh. Wir werden ein Weilchen brauchen, um unseren Rhythmus zu finden. Haben Sie Geduld.«
Leigh schnaubte und platzte heraus: »›Unseren Rhythmus finden‹? ›Haben Sie Geduld‹? Was denn, haben Sie das in einem Ihrer Aschrams gelernt, nach der Reha? Oder sind Sie noch in der Genesungsphase?«
Einen winzigen Augenblick lang wirkte er, als hätte er eine Ohrfeige bekommen, aber er fing sich rasch wieder und grinste. »Freut mich zu hören, dass Sie zumindest alles über mich gelesen haben«, sagte er und blies eine Rauchwolke aus.
»Entschuldigung, ich wollte nicht -«
»Bitte, Leigh, machen Sie sich auf die Socken.« Er zeigte mit der Zigarette zur Tür. »Ich hatte schon seit vielen Jahren keinen Lektor mehr. Verzeihen Sie mir also, wenn ich anfangs ein bisschen sperrig bin, ja?«
Leigh nickte.
»Hervorragend. Also dann bis später, ich freue mich. Sie brauchen nicht vorher anzurufen; kommen Sie einfach, wann auch immer. Fröhliche Lektüre.«
Als sie ihr Mietauto über Jesses ungeteerte Zufahrt steuerte, fragte sich Leigh, ob dieses erste Treffen nun ein halbwegs ordentlicher Anfang oder ein vollständiges Desaster gewesen war. Sie kam zu keinem Schluss. Aber dem flauen Gefühl im Magen nach zu urteilen, war es wohl eher Letzteres.
Zähl ihn als Südamerika
Emmy nahm den Einschub aus ihrem Toastergrill und wendete die Pitachips einzeln sorgsam mit spitzen Fingern um, einerseits hochzufrieden, wie köstlich kross sie waren, andererseits genervt, weil sie keine größere Ladung in einem ordentlichen Backofen zubereiten konnte. Ihre Freundinnen hatten sich zum halbjährlichen Treff bei ihr angesagt, und statt ihnen ein Festmahl zu zaubern (bevorzugt italienische Küche, ein gutes Mailänder Schnitzel mit perfekt al dente gekochten Nudeln als Beilage), backte sie Pitachips in einem Toastergrill auf, der ihre gesamte »Arbeitsfläche« einnahm, und pürierte nebenbei Kichererbsen in einer Schüssel auf ihrem Schoß. Emmy hatte sich immer mit der Überzeugung getröstet, dass sie und Duncan eines Tages zusammen ein neues Zuhause beziehen würden, in dem es einen Riesenherd mit allen Schikanen und einen superedlen Kühlschrank und ganze Schränke voller Edelstahltöpfe gab, doch dieser Traum hatte sich zusammen mit Duncan verflüchtigt.
Kaum zu fassen, dass ihre Trennung schon volle fünf Monate zurücklag. Und noch seltsamer, wie vollständig der Kontakt zwischen ihnen - um ehrlich zu sein,
Weitere Kostenlose Bücher