Ein Rückblick aus dem Jahr 2000
Minderbegabte« einräumte. Was dem Vater zum Vorteil gereichte, verurteilte möglicherweise den Sohn zur Bettelarmut. Warum? Lediglich weil dieser vielleicht schwächer als andere war. Ich habe nie den Mut der damaligen Eltern begreifen können, Kinder zu hinterlassen.“
Anmerkung. Doktor Leete hatte in seinem Gespräch am vergangenen Abend nachdrücklichst betont, wie angelegentlich man danach strebe, daß jedermann seine natürlichen Anlagert kennenlerne und nach ihnen sei nen Beruf wähle. Doch erst nachdem ich erfahren hatte, daß das Einkommen aller Berufstätigen gleich groß sei, ward es mir klar, mit welcher Sicherheit man darauf rechnen könne, daß jeder einzelne von seinem Rechte Gebrauch machen werde, sich das Geschirr zu wählen, in dem er am leichtesten und tüchtigsten zu ziehen vermöge: Daß es zu meiner Zeit nicht möglich war, in systematischer und wirksamer Weise die natürlichen Anlagen der Menschen zu entwickeln und in einem praktischen, künstlerischen oder gelehrten Beruf zur Blüte zu bringen, war nicht nur ein großer Verlust für die Gesellschaft, sondern auch eine der häufigsten Ursachen persönlichen Unglücks. Der Theorie nach waren zwar meine Zeitgenossen frei, sich eine beliebige Beschäftigung zu wählen. In Wirklichkeit jedoch entschlossen sie sich nicht frei für einen Beruf, sondern wurden durch die Verhältnisse zu Beschäftigungen gezwungen, in denen sie verhältnismäßig nur wenig leisten konnten, weil sie der dazu erforderlichen natürlichen Anlagen ermangelten. Die Reichen hatten in dieser Beziehung nur wenig vor den Armen voraus. Die Armen waren allerdings im allgemeinen jeder Gelegenheit zur Ausbildung ihrer Gaben beraubt. Sie konnten meist nicht einmal zum klaren Bewußtsein ihrer natürlichen Anlagen kommen. Selbst aber wenn dies der Fall war, verhinderte die Armut, sie durch sorgfältige Pflege zu entwickeln. Wenn nicht ein günstiger Zufall half, so blieben. den Unbemittelten alle Berufe verschlossen, die eine höhere Bildung voraussetzten, und dies nicht nur zu ihrer eigenen großen Benachteiligung, sondern auch zum Schaden der Nation. Die Wohlhabenden verfügten wohl über alle Bildungsgelegenheiten und Bildungsmittel, allein sie wurden durch die sozialen Vorurteile an einer freien Berufswahl gehindert. Die Vorurteile verboten ihnen, ein Handwerk zu erlernen, wenn sie zehnmal dafür veranlagt gewesen wären. Sie zwangen sie, sich einem höheren Beruf zu widmen, mochten sie für ihn befähigt sein oder nicht. So ist der Gesellschaft gar mancher treffliche Handwerker verloren gegangen! Eine weitere ungeheuerliche Verwüstung und Vergeudung von Begabung wurde durch pekuniäre Erwägungen verschuldet. Sie verleiteten Leute, reichlich lohnende Beschäftigungen zu wählen, für die sie durchaus nicht befähigt waren, anstatt weniger einträgliche Berufe zu ergreifen, für die sie natürliche Begabung besaßen. Das alles hat sich nun gründlich geändert. Gleiche Bildungsangelegenheiten müssen heutzutage notwendigerweise alle Anlagen und Fähigkeiten jedes einzelnen enthüllen, der dann weder durch soziale Vorurteile noch durch Rücksicht auf das Einkommen daran gehindert wird, seinen Lebensberuf vollständig frei zu wählen.
13. Kapitel
Weltstaatenbund und Güteraustausch
Als ich mich zurückzog, begleitete mich Doktor Leete in mein Schlafzimmer, um mich mit der Einrichtung des Musiktelephons bekannt zu machen, wie mir Edith dies versprochen hatte. Er zeigte mir, wie man durch das Drehen einer Schraube bewirken konnte, daß die Musik bald mächtig den Raum durchbrauste, bald wie in der Ferne verklingend in leisen Tönen dahinstarb, so daß man selbst nicht recht wußte, ob man sie wirklich höre oder dies nur träume. Wenn von zwei Personen in dem Zimmer die eine der Musik lauschen, die andere jedoch schlafen wollte, konnte der Apparat so eingestellt werden, daß die Musik für die eine hörbar, für die zweite unhörbar war.
„Wenn Sie es können, Herr West, so möchte ich Ihnen dringend raten, heute nacht lieber zu schlafen, als der schönsten Musik der Welt zu lauschen“, sagte Doktor Leete, nachdem er mir die nötigen Erklärungen gegeben hatte. „Bei den aufregenden Eindrücken, die jetzt auf Sie einstürmen, ist der Schlaf ein geradezu unersetzliches Mittel, Ihre Nerven zu beruhigen und zu stärken.“
Ich erinnerte mich, wie es mir diesen Morgen ergangen war, und versprach, dem Rate Folge zu leisten.
„Schön“, sagte der Doktor, „dann will
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