Ein Sarg für zwei
du solltest vielleicht wissen, dass dieser Rote Teufel auch
nicht perfekt ist.«
Mist. Er hatte es gehört.
»Das habe
ich auch nie behauptet.«
»Er könnte
sogar gefährlich sein, wer auch immer sich hinter dieser Verkleidung verbirgt.
Ich möchte, dass du mich sofort darüber informierst, falls er sich dir wieder
nähert.«
Ich nickte.
»Okay. Aber lass uns für heute bitte nicht mehr an ihn denken.«
Er drehte
sich zu mir um und sah mir kurz in die Augen, bevor er sich wieder auf die
Straße konzentrierte.
»Einverstanden.«
Und obwohl
ich mich immer noch fragte, wer er war, was er wollte und wo er herkam, zwang
ich mich, nicht mehr an den Roten Teufel zu denken.
Jedenfalls
versuchte ich es ernsthaft.
INTERMEZZO
Paris, Frankreich, 1547 n. Chr.
»Thierry,
ich möchte dir Marcellus vorstellen.«
Er trat
neben Veronique und sah zu dem Mann auf, von dem er bereits seit ungefähr
zweihundert Jahren ständig hörte. Der Mann, den seine Frau nie aufgehört hatte
zu lieben, obwohl er sie in den finstersten Zeiten der Pest einfach im Stich
gelassen hatte.
Es war sehr
schwierig, mit jemandem verheiratet zu sein, der hoffnungslos in jemand anderen
verliebt war.
Schwierig,
aber nicht unmöglich.
Thierry
nickte dem Vampir zu und rang sich ein schwaches Lächeln ab. Er hatte das Gefühl,
von seinem steifen Hemdkragen erwürgt zu werden. Veronique warf ihm ständig
vor, dass er zu unhöflich zu den Leuten wäre, denen sie auf ihren Reisen durch
Europa begegneten, dass er ein schlechter Ehemann wäre, voller finsterer
Abgründe.
Thierry
musste zugeben, dass diese Frau andere Personen hervorragend beurteilen konnte,
außer natürlich, wenn es um Marcellus ging.
Marcellus
war ein attraktiver Mann. Er war groß und imposant, hatte ziemlich helle Haare,
einen sehr blassen Teint und ein charmantes Lächeln, dessen Leichtigkeit
Thierry bewunderte. Zudem besaß er ganz offensichtlich einen ausgezeichneten
Geschmack. Seine Kleidung saß perfekt und musste so kostspielig gewesen sein,
dass Thierry vermutlich jahrelang seine gesamte Familie von dem Geld, das sie
verschlungen hatte, hätte ernähren können.
Welche
Familie? Sie waren alle durch die Pest dahingerafft worden. Vier Schwestern,
zwei Brüder und seine Mutter. Tot. Sein Vater war bereits etliche Jahre vorher
gestorben, und da Thierry mit seinen fünf Jahren der Älteste war, hatte er die
Vaterrolle für seine Geschwister übernommen. Trotzdem hatte nur er als Einziger
überlebt.
Überlebt ,
dachte er bitter. Nach zweihundert Jahren Leben spielte so etwas wie Überleben
keine große Rolle mehr.
Veronique
war eine wunderschöne Frau, das musste er zugeben. Ihre Haare waren so dunkel
wie die Nacht, und sie trug sie nach der neuesten Mode. Sie kleidete sich auch
nach der aktuellen Mode. Handgelenke, Hals und Ohrläppchen waren mit
Edelsteinen geschmückt, Juwelen, die Veronique sich allesamt selbst gekauft
hatte. Thierry hatte keine Ahnung, wie sie diesen Luxus finanzierte, aber
irgendwie schien immer Geld da zu sein. Er hatte schon vor langer Zeit
aufgehört, nach den Quellen zu fragen.
Marcellus
hatte sie erst zu einer Vorstellung der Commedia dell’Arte und anschließend zum
Abendessen in das Kellergewölbe einer Taverne in der Nähe des Flusses
eingeladen.
Die Taverne
war voller Vampire, was Thierry überraschte. Er hatte noch nie zuvor so viele
seiner Art an einem Ort gesehen. Er war seit fast zweihundert Jahren ein Vampir
und war dennoch jedes Mal von Neuem erstaunt, dass es solche Lebewesen gab.
Veronique hatte ihm diese Existenz geschenkt, nachdem er eigentlich schon mit
dem Leben abgeschlossen hatte. Als sie ihn vor dem Pesttod gerettet hatte,
hatte er bereits seinen Frieden mit dem Tod gemacht.
Nun musste
er für - fast - ewig leben. Genau wie diese Kreaturen um ihn herum. Sie
lachten, tranken, tanzten und hörten Musik in dieser Taverne, als wären sie
ganz normale Menschen.
Nur waren
sie das nicht. Sie waren Wesen, die zwar wie Menschen aussahen, aber Blut zum
Überleben brauchten. Er fuhr mit der Zunge über die scharfen Spitzen seiner
Reißzähne. Veronique stillte häufig ihren Appetit, er dagegen hielt sich
zurück. Er konnte mit dem rauschhaften Zustand beim Blutsaugen nichts anfangen,
mit dem Gefühl, sämtliche Kontrolle fahren zu lassen. Ihm war die Kontrolle
wichtiger als alles andere.
»Sei nicht
albern«, schalt Veronique ihn bei diesen Gelegenheiten. »Du solltest es lieber
genießen, dass ich dir eine zweite Chance gegeben
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