Ein schicksalhafter Sommer
ab.
„Boh, guck mal.“ Otto zeigte auf seine Hütte, hinter der ein Baum umgestürzt war. „Gut, dass Mama mir verboten hat, hier im Wald zu spielen, seit es so stürmisch geworden ist.“
Robert stimmte ihm von Herzen zu. Die Baumpflege hier ließ zu wünschen übrig und bei den Herbststürmen wusste man nie, welcher der alten, morschen Bäume umkippte. Nicht auszudenken, hätte der Junge hier gespielt, als der Baum umgestürzt war.
„Den können wir doch nehmen.“ Otto sprang auf den Stamm.
„Ich glaube, es wäre besser, wenn wir einen Baum nehmen würden, der schon länger hier liegt und schon etwas vorgetrocknet ist.“ Obwohl das den Kohl auch nicht fett machte. Der alte Nessel würde ja wohl jetzt so bald wie möglich die Kohlen bestellen, so dass man das Holz nur zur Überbrückung brauchte.
Robert sah sich den Baum genauer an. „Also, Otto, ich glaub ich höre auf dich, und wir nehme deinen Baum hier.“ Er überlegte, dass er morgen mit Hermann Nessel erst einmal den ganzen Tag beschäftigt sein würde, die Äste abzusägen und den Baum von dem Pferd zum Hof ziehen zu lassen. Das würde Friedhelm dann wohl endgültig den Rest geben. Robert ließ den Blick von der Krone bis zur Wurzel schweifen. Und dann würde er ihn klein hacken, läge er erst einmal auf dem Hof. Der Gedanke an die ganze Arbeit und dass er hier gebraucht wurde zeigte ihm, dass er recht daran getan hatte, hier zu bleiben. Er stieg über den Stamm und blieb plötzlich mit dem Fuß hängen. Er fluchte und versuchte, seinen Fuß zu befreien. Es war ein weißer Stock, der unter dem Stamm hervorlugte. Robert runzelte die Stirn. Irgendwie kam ihm das Ding bekannt vor. Er griff danach und zog. Er taumelte ein Stück nach hinten, als der Gegenstand wider Erwarten sofort nachgab, da er halb unter Laub vergraben war und nicht von dem Stamm beschwert wurde. Robert brauchte einen Augenblick, ehe er begriff, was er in der Hand hielt. Wie betäubt hielt er das Beil vor sich und fragte sich, woher das getrocknete Blut stammte, welches die ganze Klinge bedeckte. Seine Hand zitterte, als ihm bewusst wurde, woher er das Beil kannte. Der Griff war unverwechselbar mit weißer Farbe beschmiert, Zeugnis einer der wenigen Versuche Hermann Nessels, den Hühnerstall mit Farbe zu tünchen. Ja, das Beil gehörte auf den Nessel-Hof. Robert gab einen rauen Laut von sich und betrachtete den besudelten Gegenstand in seiner Hand. Damit hackte Luise Nessel den Hühnern die Köpfe ab. Aber was hatte er, Robert, damit getan?
„Iiih, da kleben ja Haare dran.“
Robert riss den Kopf hoch und sah Otto vor sich, der angewidert auf die blutige Klinge starrte. Panik breitete sich in Robert aus. Was jetzt? Der Junge durfte auf gar keinen Fall erzählen, was er gesehen hatte. Dass man anfing, hier herumzuschnüffeln! Robert sah sich schon wieder in dem dreckigen Kellerloch sitzen, umgeben von sinnlosem Gebrabbel und unmenschlichem Gestöhne. Nein, so groß seine Schuldgefühle wegen dem, was er angerichtet hatte, auch waren, zurück ins Irrenhaus ging er auf gar keinen Fall. Mit klopfendem Herzen sah er auf den Jungen nieder.
Er fasste Otto bei den Schultern und hockte sich vor ihn. „Otto“, krächzte er und befeuchtete sich nervös die Lippen, „wir zwei, wir sind doch Kumpel, nicht wahr?“
„Kumpel?“
„Kumpel, ja.“ Robert drückte aufmunternd Ottos Schultern
„Ist das genauso, wie Freunde?“
„Besser! Weil Kumpel sich Geheimnisse erzählen, die man nie verraten darf“, stammelte Robert und überlegte fieberhaft, was er Otto erzählen sollte. „Und wenn ich dir jetzt ein Geheimnis erzähle, versprichst du mir dann, dass du es niemandem weitererzählst?“
Otto sah ihn eine Weile an. „Du bist so komisch, Robert.“ Er trat einen Schritt zurück und befreite sich aus Roberts Griff.
„Unsinn, Otto. Jetzt komm her.“ Robert erhob sich und griff wieder nach ihm, doch Otto schüttelte den Kopf und wich noch ein Stück zurück.
Robert schloss die Augen und atmete tief durch die Nase ein. Er versuchte, sich zu beruhigen. „Otto“, begann er und bemühte sich, ruhig zu sprechen, „du musst mir jetzt zuhören, ja?“ Er öffnete die Augen und erwartete halb, dass der Junge schon das Weite gesucht hatte, doch er stand immer noch vor ihm, offensichtlich ratlos, was mit seinem Freund los war.
Robert zwang sich zu einem aufmunternden Lächeln. „Du möchtest doch nicht, dass ich Ärger bekomme, oder? Dass ich fortgehe?“ Er wartete das
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