Ein schöner Ort zu sterben
der alte Jude von den Brutalitäten der Pretorius-Brüder nicht ins Bockshorn jagen. Er hatte schon Bibliotheken in den Feuern der Nazis verbrennen sehen und erlebt, wie ein ganzer Kontinent in Schutt und Asche gebombt worden war. So etwas wie das hier machte ihm keine Angst.
»Die suchen immer noch nach Ihnen«, fuhr er fort.
Emmanuel hörte aufmerksam zu. Es war unmöglich, in die Stadt zurückzukehren. Nicht nach dem, was auf dem Berg mit Louis geschehen war.
»Was soll das mit den Ausfallstraßen bedeuten?«, fragte er. Wenn er heute Abend nicht nach Mooihoek kam, musste er sich etwas anderes überlegen. Auf der Farm von King saß er für die Pretorius-Brüder und die Security Branch regelrecht auf dem Präsentierteller.
»Die Security Branch hat vier Trupps losgeschickt, die in beiden Richtungen Straßensperren um die Stadt errichten sollen.«
»Warum?«
»Das weiß ich nicht. Tiny hat den Auftrag bekommen, seinen besten Schnaps auf die Wache zu liefern. Von ihm habe ich es erfahren.«
»Haben Sie irgendeine Ahnung, wo diese Straßensperren sind?«, fragte Emmanuel. »Oder wonach sie suchen?«
»Nicht die geringste.«
Emmanuel überdachte die Lage. Wenn es zwischen Kings Farm und Mooihoek eine Straßensperre gab, dann hing er bis zum Morgengrauen hier fest.
»Doc?«, fragte er. »Wie lagert man am besten über Nacht eine Leiche?«
Emmanuel setzte sich Winston gegenüber an den Küchentisch und musterte ihn eine Zeitlang. Die übrige Familie befand sich unter Hansies wachsamen Augen im Wohnzimmer. Winston machte einen abgeklärten Eindruck. Zweigmans Anruf hatte dem Goldjungen die Gelegenheit verschafft, sich wieder zu sammeln.
»Reden wir mal über Captain Pretorius«, begann Emmanuel. Er bemühte sich um einen freundlichen, lockeren Ton.
»Ich bin ihm nur ein paar Mal begegnet«, erklärte Winston.
Emmanuel lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Seltsam«, sagte er, »wie die Geschichte sich wiederholt. Ihre Mutter muss ungefähr in Davidas Alter gewesen sein, als sie etwas mit Ihrem Vater anfing. Vielleicht sogar noch ein bisschen jünger.«
»Ich habe nie nachgerechnet«, sagte Winston.
»Das glaube ich doch«, entgegnete Emmanuel. »Sie wissen besser als die meisten anderen, was für ein Leben Davida erwartete.«
»Meine Mutter hat es ziemlich gut gehabt.«
»Ein Kind wurde ihr weggenommen und als Weißer ausgegeben, das andere für ein Stück Land eingetauscht. Finden Sie, dass das gut ist?«
Winston sprang abrupt auf, ging zum Ofen und wärmte seine Hände, obwohl es in der Küche sehr warm war. Dann holte er einmal tief Luft, drehte sich aber nicht zu Emmanuel um.
»Ich habe einen Fehler gemacht«, sagte er schließlich. »Jetzt weiß ich das.«
»Erklären Sie es mir, Winston.«
»Es wäre richtiger gewesen, wenn ich meinen Vater bestraft hätte.«
Emmanuel hielt die Luft an. Dann fragte er langsam und sehr bedächtig: »Haben Sie am letzen Mittwoch an der Watchman-Furt Captain Pretorius getötet?«
Winston wandte sich zu ihm um und sah ihn an. »Er hat Davida sämtlicher Chancen beraubt. Dabei hatte sie doch sowieso schon kaum welche. Das war unverzeihlich.«
»Haben Sie ihn getötet, Winston?«
»Am Mittwochabend war ich in Lorenzo Marques. Ich habe Vorräte für die Feriensiedlung auf Saint Lucia eingekauft. Ich habe fünf Zeugen, die bereit sind, das vor Gericht zu beeiden.«
»Nur fünf. Ihr Vater könnte sich doch bestimmt mehr leisten.«
»Könnte er bestimmt. Aber fünf sollten wohl reichen«, entgegnete Winston.
»Ich bin nur neugierig«, beharrte Emmanuel. »Captain Pretorius wurde ins Wasser gezerrt. Warum?«
»Vielleicht wollte der Mörder nicht, dass er mit offenem Hosenstall auf dem Strand liegen bleibt«, sagte Winston. »Vielleicht hatte der Mörder letzten Endes dann doch Mitleid mit ihm.«
»Soll das heißen, Sie bedauern, dass Sie Captain Pretorius am letzen Mittwochabend erschossen haben?«
Winstons Ausdruck gefror zu einer Maske. Als angeblicher Weißer zu bestehen, hatte ihn gelehrt, wie man sich selbst und seine Familie um jeden Preis schützte. Er grinste nur, sagte aber nichts.
Emmanuel fragte sich, in was für einer Welt Winston King wohl lebte. Sein ganzes Leben war eine einzige Lüge. Sogar seine helle Haut und seine blauen Augen waren eine Lüge. Es machte die Sache nicht besser, dass er in eine Zeit hineingeboren war, wo man sexuelle Beziehungen zwischen verschiedenen Rassen als »sittenwidrig« bezeichnete und damit eine Vielzahl von
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