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Ein schöner Ort zu sterben

Ein schöner Ort zu sterben

Titel: Ein schöner Ort zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malla Nunn
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weiter auszuleuchten. Wie ein nachdenkliches Kind saß sie mit angezogenen Knien auf dem Fußboden.
    »Hat Ihr Vater Sie geschickt?«, fragte Emmanuel. »Oder Ihr Bruder?«
    »Haben Sie von dem Berg geträumt?« Davida rutschte ein Stück weiter vor und stützte die Ellbogen auf die Matratze. Sie war schweißgebadet und zitterte, schien aber keine Angst vor ihm zu haben.
    »Ja.« Emmanuel sah keinen Grund zu lügen, und es half ihm, mit jemandem darüber zu sprechen, der selbst dabei gewesen war. »Das habe ich.«
    »Kam er in dem Traum vor?«
    »Nur seine Stimme«, berichtete Emmanuel. »Er hat gesungen. Ich war es, der von der Klippe hinabstürzte wie ein Stein. Und Sie?«
    »Ich habe mich in dem Wasserfall gewaschen, und als ich an mir hinabsah, war plötzlich die Haut an meinen Armen zerfetzt. Durch das Fleisch konnte ich bis auf die weißen Knochen sehen.«
    »Er ist weg. Und die Träume werden aufhören, aber das dauert eine Weile«, sagte Emmanuel.
    Nach den schrecklichen Erlebnissen auf dem Berg und all dem, was Louis ihr im Namen der Reinheit angetan hatte, war Emmanuel nun für sie zum Rettungsanker geworden, der sie vor all dem Schrecklichen beschützen sollte. Jetzt war der Moment gekommen, wo er ihr sagen musste, dass sie sich lösen musste. Dass alle Opfer, ob im Krieg oder bei irgendwelchen Gewaltverbrechen, sich zu denen hingezogen fühlten, die sie gerettet hatten. Doch es war nur ein brüchiges Band, und man durfte solche Menschen nicht auch noch bestärken. Das Leben ging weiter, und bald schon würden sie wieder Fremde sein. Und so war es auch besser.
    Sie rutschte weiter auf ihn zu, ohne dass er etwas dagegen unternahm.
    »Glauben Sie, dass ich ein schlechter Mensch bin?«, fragte sie.
    »Wieso denken Sie das.«
    »Wegen dem Captain und dem, was ich mit ihm gemacht habe.« Sie ließ alle Deckung fallen und wartete auf sein Urteil.
    »Für alles, was Sie getan haben, hatten Sie gute Gründe«, sagte er und bemerkte unangenehm berührt, dass dies seit seiner Rückkehr aus Europa das erste persönliche Gespräch mit einer nicht-weißen Person war. Es hatte alle möglichen Zeugenaussagen, Vernehmungen und Verhöre gegeben, er hatte es bei seiner Arbeit mit allen erdenklichen Rassen zu tun bekommen – aber diesmal war es anders. Sie sprach mit ihm. Von Mensch zu Mensch. Das Kerzenlicht ließ ihre samtige braune Haut aufschimmern.
    »Glauben Sie, dass Gott allwissend ist?«, fragte sie.
    »Wenn es einen Gott gibt, dann wird er auch verstehen, in was für einer Situation Sie waren. Eine hintergründigere Antwort bringe ich jetzt, mitten in der Nacht, nicht mehr zustande.«
    »Hmm …«
    Ein tiefes, nachdenkliches Seufzen. Sie dachte tatsächlich darüber nach, ob es einen gnädigen Gott gab. Dann streckte sie die Hand aus und berührte die Narbe an seiner Schulter. Emmanuel sah das Verlockende in ihren Augen und spürte die Wärme ihrer Haut und ihres Atems. Reiß dich am Riemen, schalt er sich. Hier geht es immerhin um einen Fall – sogar um einen Mordfall, in dem sie eine zentrale Rolle spielt. Das ist nun wirklich nicht der Moment, sich zu benehmen wie einer von der Sitte nach Dienstschluss.
    »Du bist verletzt«, sagte sie.
    Der Ärmel ihres Nachthemds rutschte bis zum Ellbogen herunter, und er befühlte die langen roten Male auf ihrem Arm.
    »Du auch.«
    Sie beugte sich vor und küsste ihn. Ihr Mund schmeckte voll und warm und willig. Ihre Zunge erforschte ihn. Sie kletterte auf das Bett und glitt zwischen seine Beine. Dann legte sie ihre Hände auf seine Knie und küsste ihn weiter, ein endloser Tanz.
    Er fuhr zurück, doch nicht weit genug, um sich selbst oder sie davon zu überzeugen, das sie aufhören sollten.
    »Warum machst du das?«, fragte er.
    »Diesmal möchte ich bestimmen«, antwortete sie. Ihre Hände glitten über seine Schenkel und seine Handgelenke, die sie fest umklammerte. »Darf diesmal ich bestimmen, Detective Sergeant Emmanuel Cooper?«
    Sie gab ihm alle Macht und forderte sie im gleichen Atemzug zurück. Es war erregend und beschämend zugleich, dass sie ihn mit seinem Rang ansprach.
    »Ja«, antwortete er. »Das würde mir gefallen.«
     
    Der Schlaf zog ihn hinab, vorbei an gefährlichen Strömungen und Strudeln bis an einen sicheren Ort. Er schlief wie ein Toter, doch die echten Toten ließen ihn in Ruhe. Er lag in dem ausgebrannten Keller, den er aus seinem Traum kannte, aber diesmal hatte sich die Frau auf der Suche nach etwas Wärme an seinen Rücken

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