Ein schöner Ort zu sterben
Bitte!«
Emmanuel drückte sich an Piet und Dickie vorbei, die das Spektakel mit ungläubigem Grinsen verfolgen. Offenbar gehörten Saufen und Prügeleien hier zum normalen Samstagabendprogramm, und einen schwachsinnigen Farbigen gegen ein paar Weiße zu verteidigen lohnte die Mühe nicht.
»Halt’s Maul!« Paul schnappte sich den Soldaten am Revers und schüttelte ihn durch wie eine vertrocknete Ähre. Die Orden an Harrys Mantel bimmelten ein dissonantes Lied, als die Brüder ihn zwischen sich hin und her stießen. Nur Louis hielt sich heraus.
Emmanuel näherte sich der Phalanx der Brüder und merkte, dass Shabalala ihm folgte. Sie zwängten sich in den Kreis und nahmen den alten Mann in die Mitte.
»Was fällt Ihnen ein?« Erich machte einen Schritt vor. Sein Blut war in Wallung und drohte überzukochen.
»Er ist verrückt«, sagte Emmanuel ruhig. »Constable Shabalala und ich bringen ihn jetzt nach Hause. Seine Frau wird ihm eine viel schlimmere Abreibung verpassen, als Sie es je könnten.«
»Nach Hause?« Harry krallte sich an Emmanuels Ärmel. »Nicht nach Hause! Nein! Nicht nach Hause!«
»Sehen Sie?«, sagte Emmanuel. »Er würde lieber hier bei Ihnen bleiben, als nach Hause zu seiner Frau zu müssen.«
»Nicht nach Hause!« Harrys dünnes Stimmchen sprang eine Oktave höher. »Nicht nach Hause!«
Paul lachte als Erster, dann auch seine Brüder.
»Der hört sich an wie ein altes Weib, was?« Erich äffte den alten Mann nach: »Nicht nach Hause! Nicht nach Hause!«
Das Gelächter schwoll an. Langsam führten Emmanuel und Shabalala Harry in ihrer Mitte aus dem Kreis heraus. In gleichbleibendem, nicht zu schnellem Tempo gingen sie die Piet Retief Street hinunter. Einfach nur weitergehen. Einfach nur nach Hause gehen.
»Lauf zurück zu deinem Weib!«, rief Henrick ihnen nach. Die Knüffe und die komische Reaktion des Alten hatten seine Laune gebessert. »Diesmal hast du noch mal Glück gehabt, Harry.«
»Captain …«, wimmerte Harry leise. »Bitte, Captain.«
»Hier durch.« Shabalala deutete auf einen schmalen Pfad, der an der Seite der Polizeiwache entlang führte. »Wir nehmen den Weg hier.«
Sie entwichen auf den Pfad und marschierten dann forsch weiter, bis sie draußen im Busch waren. Harry drehte sich noch einmal zur Polizeiwache um, die steifen Hände wie ein Bettler ausgestreckt.
»Captain«, flehte er, »meine Briefe.«
Shabalala schulterte den alten Soldaten und lief mit ihm so schnell über den schmalen Kaffernpfad, dass Emmanuel Mühe hatte nachzukommen. Der schwarze Polizist setzte alles daran, den Abstand zwischen ihnen und den explosiven Pretorius-Brüdern zu vergrößern. An einem Grundstückszaun knurrten und bellten Hunde. Sie hasteten weiter, vorbei an Häusern, die vom weichen Licht der Gaslampen erhellt wurden. Die Dämmerung hatte eingesetzt.
An einem wackeligen Holzgatter blieb Shabalala stehen und stellte den alten Mann wieder auf die Beine. Der glänzende Schweiß auf der Stirn des schwarzen Constable war der einzige Hinweis darauf, dass er gerade mehr unternommen hatte als nur einen Spaziergang von der Polizeiwache.
»Das ist sein Haus«, sagte Shabalala. »Sie müssen hineingehen und ihn seiner Frau übergeben.«
»Sie kommen mit.«
»Bei den Farbigen gehen immer der Captain oder Lieutenant Uys rein. Nicht ich.«
»Der Captain ist tot«, sagte Emmanuel und schob den Riegel des Tors zurück. »Heute Abend gibt es nur uns zwei.«
Shabalala nickte und folgte ihm. Sie kamen an einem schmalen Gemüsebeet vorbei, das sich vom Tor über den gesamten Hinterhof bis an die Veranda erstreckte. Emmanuel hämmerte gegen die Tür.
»Die Briefe.« Harry glotzte zurück in Richtung Tor. »Die Briefe.«
»Halten Sie ihn mal«, bat Emmanuel, als er hörte, wie sich Schritte der Hintertür näherten. »Polizei. Wir haben Harry dabei.«
Die Tür ging auf, und Angie trat heraus, die Frau des alten Soldaten. Sie trug ein Hauskleid aus brauner Baumwolle, das am Kragen und den Ärmeln umgenäht war, um den ausfransenden Stoff auszubessern. Ihr dunkles Kraushaar war straff auf Lockenwickler gespannt.
»Wo haben Sie ihn gefunden?«, fragte sie kurz angebunden. Harry ging fast jeden Tag stiften. Meistens fand er den Weg nach Hause ohne Probleme.
»Vor der Polizeiwache«, berichtete Emmanuel.
»Die Briefe«, heulte Harry. »Die Briefe.«
Mit nur fünf Schritten hatte Angie die Veranda überquert. »Du hast über die Briefe geredet? Du hast etwas von den Briefen erzählt, du blöder
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