Ein schöner Ort zu sterben
blieb mitten auf dem Pfad stehen und blickte um sich. Nichts.
Leise sagte er: »Das bedeutet gar nichts.«
»Wirklich?«, amüsierte sich der Sergeant Major. »Ich frage mich nämlich gerade, ob das, was die Jury über deine Mutter gesagt hat, am Ende sogar stimmt. Wie siehst du die Sache, Kleiner?«
Emmanuel lief weiter. Er antwortete nicht. Bald würden die Tabletten, die Zweigman ihm gegeben hatte, anfangen zu wirken. Er schloss den Sergeant Major aus und verriegelte das Tor. Auf keinen Fall würde er einen Gedanken daran verschwenden, was der verrückte Schotte gesagt hatte.
Als Emmanuel mit van Niekerks Telegramm in der Jackentasche aus dem Postamt kam, saß der Kriegsneurotiker Harry auf der Treppe. Es war früher Nachmittag, und die Hauptstraße war in schimmerndes Frühlingslicht getaucht. Weiter die Straße hinunter pfiff ein stämmiger weißer Farmer ein Lied, während seine Landarbeiter den Laster mit Säcken voller Dünger und Saatgut beluden.
Emmanuel trat auf den Bürgersteig und suchte sich die nächste Passage zum Kaffernpfad.
»Kleiner Captain.« Harrys Stimme war nur ein heiseres Flüstern. »Kleiner Captain …«
Die bimmelnden Orden und das beharrliche Zupfen an seinem Ärmel verrieten ihm, dass Harry tatsächlich mit ihm sprach und nicht mit einem Senfgas-Phantom.
»Ich bin Detective Sergeant Emmanuel Cooper aus Jo’burg«, erinnerte er den alten Soldaten. »Wir sind uns in Tinys Laden begegnet, erinnern Sie sich?«
»Kleiner Captain.« Harry achtete überhaupt nicht auf das, was er sagte. »Kleiner Captain.«
Emmanuel gab es auf, Harry zu belehren. Er musste schleunigst von der Hauptstraße verschwinden, bevor die Geheimpolizei mitbekam, wo er steckte, und beschloss, ihm ihren Unmut über Erich Pretorius’ Verhör zu vermitteln.
»Wie kann ich Ihnen helfen, Harry?«
»Heute Abend?« Harrys knochige Hand legte sich um sein Handgelenk und ließ nicht los. »Heute Abend, kleiner Captain?«
Emmanuel blickte sich verstohlen um. Wie viel Aufmerksamkeit zog er schon auf sich? Aber keiner von den Leuten, die über die Straße liefen, kümmerte sich um den seltsamen Anblick, dass ein irrer Farbiger einen Weißen am Handgelenk festhielt. Harry mit seinem Grabenkoller war einfach der Dorfdepp. Keiner erwatete, dass er sich benahm wie ein normaler Bürger von Jacob’s Rest.
»Vielleicht heute Abend«, antwortete Emmanuel ihm, als er die Frage endlich verstanden hatte. »Vielleicht heute Abend. Ich weiß noch nicht.«
»Gut, gut.« Ein Lächeln breitete sich auf Harrys Gesicht aus, und man sah, wer er vor dem Krieg gewesen war: ein reizender hellhäutiger Mann, der seine sieben Sinne beisammenhatte. »Gut, kleiner Captain, gut.«
»Bis dann also. Ich komme heute Abend.«
»Gut, gut.« Der alte Soldat ließ seine Hand los und wandte sich in Richtung Polizeistation. Emmanuel tippte ihm auf die Schulter und flüsterte ihm ins Ohr: »Gehen Sie nicht zur Wache, Harry. Captain Pretorius ist da nicht mehr.«
»Nach Hause«, antwortete Harry. »Nach Hause.«
Emmanuel sah Harry hinterher, als er über die Straße watschelte wie ein Gespenst am helllichten Tag. Was wäre aus Harry geworden ohne die Bulldogge Angie, die auf ihn aufpasste, und ohne seine Töchter, die sich als Weiße ausgaben? Für alte Soldaten war kein Platz in der Welt.
»Sind Sie mit Harry befreundet?«, fragte Louis. Wie ein Geist war er im Frühlingslicht aufgetaucht.
»Ich bin ihm ein paar Mal begegnet«, sagte Emmanuel.
»Er ist Soldat, genau wie Sie«, bemerkte Louis. »Aber deshalb ist er trotzdem noch nicht wie Sie.«
»Aha.« Die Information über seine Zeit in der Armee musste Louis von seinen Brüdern haben.
»Wir müssen uns vor unseren Gefühlen für sie hüten«, erklärte der junge Pretorius. »Geistig können sie nie mit uns auf einer Stufe stehen. Deshalb müssen wir uns von ihnen fernhalten und rein bleiben.«
Das Glimmen in Louis’ Augen machte Emmanuel nervös. Die Bordsteinpredigt kam völlig unvermittelt und erinnerte ihn an das Kirchenlied, das Louis hinter Tinys Schnapsladen angestimmt hatte.
»War Ihr Vater in der Armee?« Wenn ja, hätte das vielleicht erklärt, warum Pretorius beschlossen hatte, Harry die Briefe zu bringen und seinen Töchtern zu einer weißen Identität zu verhelfen.
»Mein Vater hat nicht in diesem englischen Krieg gekämpft.« Louis schien große Ähnlichkeit mit seiner Mutter zu haben: außen weich und innen hart wie Diamant. »Aber meine beiden Großväter waren
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