Ein schöner Ort zu sterben
Aber nach drei Wochen – nichts. Es sah so aus, als wäre der Mann verschwunden, also haben sich alle wieder um ihre eigenen Angelegenheiten gekümmert. Dann kamen die Geschichten im Dezember, und wir haben alle Schlösser eingebaut.«
»Wie fand denn der Captain diese Patrouillen?«
Nach Einbruch der Dunkelheit gehörte der Kaffernpfad Willem Pretorius. Vielleicht hatte ihm ein rivalisierender Spähtrupp ja gar nicht in den Kram gepasst.
»Er hat gesagt, in Ordnung, solange die Männer sich auf das Viertel der Farbigen beschränkten. Sie durften nicht weiter auf die andere Seite der Stadt als bis zum Krankenhaus und Kloppers Schuhgeschäft.«
Emmanuel dachte einen Moment darüber nach, was er gerade erfahren hatte. Trotz dessen, was Davida ihm über die Größe des Angreifers berichtet hatte, wurde er das nagende Gefühl nicht los, dass Pretorius irgendwie auf den Täter passte. Der Afrikaander kannte die Kaffernpfade wie seine Westentasche und konnte sie benutzen, ohne Verdacht zu erregen. Außerdem kannte er die Frauen und wusste, wo sie wohnten. Die Bürgerwehr stellte für das, was er trieb, kein Hindernis dar. Kein Trupp farbiger Männer hätte es gewagt, einen weißen Police Captain anzuhalten und auszufragen.
Wenn Willem Pretorius etwas mit den Angriffen zu tun hatte, eröffnete dies in Bezug auf seinen Tod ein völlig neues Bild an Möglichkeiten. Welchen gesetzmäßigen Weg konnte ein Farbiger schon beschreiten, wenn er herausfand, dass ein weißer Police Captain seine Schwestern belästigte? Selbst ihn hatten Tiny und Theo schließlich mit einem geladenen Gewehr bedroht.
Er lehnte sich mit der Schulter an den Pfosten des offenen Tors und schaute hinüber zu Davidas Zimmer. Hinter den Vorhängen flackerte in der hereinbrechenden Dunkelheit Kerzenlicht auf. Ein Schatten bewegte sich am Fenster vorbei. Zeichen eines unauffälligen, geheimen Lebens. Was genau machte die scheue braune Maus in ihrem Zimmer, wenn es dunkel wurde?
»Sehen Sie sich auch die Zimmer der anderen Mädchen an oder nur das von Davida?« Die Frage kam knallhart.
Emmanuel wandte sich zu Granny Mariah um. »Ich habe mich nur gefragt, wie Captain Pretorius Davida aus dem Weg gegangen ist. Der Captain war doch ständig hier draußen, oder nicht?«
»Hier? Wer sagt, dass er hier an meinem Haus war?«
»Ich meinte den Kaffernpfad. Auf dem Weg ist der Captain doch ein paar Mal die Woche hier vorbeigekommen, nicht wahr?«
»Manchmal kam er vorbei und manchmal nicht. Er hat keine Zeitpläne verteilt.«
»Nein, wohl nicht.«
Emmanuel lüpfte seinen Hut und wünschte eine gute Nacht. Dann machte er sich mit Shabalala davon. Wenn die letzten Bediensteten nach Hause geeilt waren, war der Pfad nur noch das Revier des Captains und einer Handvoll farbiger Männer gewesen, die einmal die Woche nach einer Pokerrunde auseinander gingen. Hatte der Captain seine Macht ausgenutzt und Frauen belästigt, von denen er wusste, dass das Gesetz ihnen nicht viel Beachtung schenken würde? Welche Möglichkeiten auf Gerechtigkeit hätte ein gemischtrassiger Mann in diesem Fall sonst gehabt, als zur Waffe zu greifen und den Täter zu verfolgen?
»Hamba Gashle. Guten Weg, Shabalala«, wünschte Emmanuel, während der große Polizist ein Bein über sein Fahrrad schwang und den Lenker ergriff. Es war noch zu früh, mit dem Mann über seinen Verdacht gegenüber dem Captain zu sprechen.
»Salana Gashle. Gutes Zurückbleiben, Sergeant.« Der Schwarze nickte und fuhr in das Dämmerlicht hinein. Bald war er verschwunden, nur der rote Sonnenuntergang blieb.
Emmanuel wandte sich um und marschierte los, vorbei an der Kirche und den Geschäften der Farbigen. Er passierte Hinterhofzäune, deren Tore für die Nacht verschlossen und verriegelt waren, und kam zu dem Abzweig zum Protea Guesthouse, wo sich sein Zimmer befand. Er blieb auf dem runden Pfad, der sich wie ein Ring um die Stadt legte, deren gepflegte Hinterhöfe sich gegen den ungezähmten Busch stemmten.
Emmanuel kam direkt am inzwischen verschlossenen Tor vorbei zum Arbeitsschuppen des Captains. Rasch lief er weiter, bis er an ein wackeliges Gatter gelangt war. Dort zog er einen Brief aus der Tasche, den er am früheren Nachmittag bei Miss Byrd im Postamt abgeholt hatte. Adressiert war er an den Captain, aber eigentlich war er für Harry. Für seine Tochter, die jetzt als Weiße lebte, war es die einzige Möglichkeit, wie sie mit ihrem Vater Kontakt halten konnte, ohne ihren neuen gesellschaftlichen Status
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