Ein Schöner Ort Zum Sterben
vielleicht ein etwas zu optimistisches Wort war. Sie war sich ja nicht einmal sich selbst gegenüber sicher, wollte mit Vater Holland aber unbedingt über ihr unbestimmtes Gefühl reden. Irgendjemand musste etwas tun, um Adeline zu helfen, und zwar schnell und tatkräftig, so viel stand fest. Doch konnte sie nicht sagen, woher die Gefahr kommen mochte – vielleicht sogar von Adeline selbst. Meredith hatte gespürt, dass sich unter der Oberfläche der zerbrechlich wirkenden Frau ein schier unerträglicher Druck aufgestaut hatte. Sie drohte sich selbst zu zerstören, wie ein ausbrechender Vulkan. Nichts von alledem konnte sie Vater Holland über ein so anonymes Medium wie das Telefon begreiflich machen. An der Straßenecke zögerte Meredith. Sie konnte Vater Holland gleich jetzt besuchen, noch bevor sie nach Hause ging. Sie würde ihm alles sagen und ihr Gewissen damit erleichtern, und mit ein wenig Glück konnte sie sich den Rest des Abends entspannen. Die Kirche und das angrenzende Vikariat lagen am Ende einer kurzen, breiten Sackgasse, die weniger Straße als vielmehr ein Stück mittelalterlichen Bamfords darstellte, das alle Modernisierungen und Stadtentwicklungsmaßnahmen überdauert hatte. Unter dem Asphalt der Straße lagen noch die Kopfsteinpflaster des alten Bamforder Marktplatzes, hatte Vater Holland ihr erzählt. Später, als die Stadt gewachsen war, hatte man einen neuen Marktplatz gebaut, und das Stadtzentrum war eine halbe Meile weiter nach Westen gewandert.
»Man kann eine Kirche nicht verlegen«, hatte Holland gesagt.
»Man kann die Menschen umsiedeln und neue Häuser bauen, aber die Kirche bleibt, wo sie ist, selbst wenn sie nur noch schwer zu erreichen ist oder gar mitten auf einem Feld steht. Im vierzehnten Jahrhundert«, hatte er hinzugefügt und mit den schweren Motorradstiefeln, die er unter der Soutane trug, auf den Boden gestampft,
»im vierzehnten Jahrhundert befand sich das Stadtzentrum genau hier.« Und genau dort fand Meredith sich nun wieder. Es war sehr still ringsum. Zur Rechten lag der alte Friedhof mit den raschelnden Kiefern. Die Kirche stand genau vor ihr, und der Turm ragte steil in den dunkelblauen Nachthimmel hinauf. Fledermäuse, die ihren Schlafplatz in der Kirchturmspitze verlassen hatten, flatterten über den Gräbern dahin. Hin und wieder schoss eine von ihnen dicht über Meredith hinweg, so dicht, dass sie fast ihr Haar berührte. Die Fledermäuse waren ein echtes Problem in der Bamforder Kirche und Thema hitziger Leserbriefe in der Lokalzeitung. Sie standen unter Naturschutz und durften nicht einfach vertrieben werden. Doch ihr Kot und ihr Urin stellten ein echtes Problem für das Dachgebälk dar, und es hatte Beschwerden gegeben wegen des moderigen Gestanks. In der Kirchenvorhalle brannte ein Licht, und ein weiteres schwaches Licht leuchtete im Innern. Noch hatte niemand die Kirche für die Nacht abgesperrt. Meredith öffnete das quietschende Tor zur Rechten, das zum Vikariat führte, und ging zur Eingangstür. Im Erdgeschoss brannten sämtliche Lichter, doch Meredith konnte klingeln, so viel sie wollte, niemand öffnete ihr. Versuchsweise drückte sie die Klinke herunter, denn sie wusste, dass der Vikar tagsüber nicht abschloss. Doch jetzt war die Tür zugesperrt, entweder, weil es dunkel geworden oder weil der Vikar weggegangen war und die Beleuchtung aus Sicherheitsgründen hatte brennen lassen. Die Lichter in der Kirche konnten bedeuten, dass Holland sich dort aufhielt. Meredith ging zurück zur Straße und näherte sich der Vorhalle. Die Masse des Bauwerks ragte lautlos und düster über ihr auf. Sie öffnete die schwere Eichentür an dem großen schmiedeeisernen Ring, der den schweren Riegel bewegte, und spähte hinein. Ein Geruch nach Kerzenwachs und Messingpolitur, Staub in alten Wandbehängen und der unweigerliche Gestank nach Fledermäusen schlug ihr entgegen. Im Halbdunkel sah sie Pfeiler, Kirchenbänke, Taufbecken, liegende Heiligenstatuen und den Stand mit den Magazinen. Nur oben auf der Kanzel brannte ein einzelnes Licht. Es flackerte im gotischen Deckengewölbe und spiegelte sich in den Gedenktafeln an den Wänden über dem finsteren Chorgestühl. In der Sakristei war alles dunkel, Vater Holland war nirgends zu sehen. Meredith wollte gerade die Tür wieder ins Schloss ziehen und gehen, als sie ein leises Geräusch hörte. Außer ihr war noch jemand da! Jetzt erst bemerkte Meredith eine kleine, dunkle Gestalt, die in einer der vorderen Bänke im Schatten
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