Ein Schöner Ort Zum Sterben
störrisch.
»Und wir haben uns ein wenig Geld verdient, na und? Alles kostet Geld! Meine Mum hat kein Geld, also musste ich es woanders auftreiben. Ich hätte mir eine Teilzeitarbeit gesucht, aber im Augenblick gibt es in ganz Bamford nichts. Jedes Mal, wenn irgendein Laden ein Schild ins Schaufenster hängt, sind mindestens zwanzig Leute vor dir da. Lynne und ich, wir waren keine Schlampen! Wir haben nur, na ja … wenn da ein Kerl war, der uns gefiel oder der aussah, als würde er für uns bezahlen … Wir … sie wissen schon. Es waren nicht viele! Meine Mum schreit mich andauernd an, dass ich ihr sagen soll, wie viele Kerle es waren. Ich kann mich nicht erinnern, aber es waren nicht viele!« Ihr Versuch einer Rechtfertigung hatte etwas kindlich Unschuldiges an sich, etwas, das Meredith als überaus deprimierend empfand. Sie sah das, was sie und ihre Freundin Lynne getan hatten, nicht als Prostitution an. Für sie war es nur eine Möglichkeit gewesen, sich ein wenig Taschengeld zu verdienen. Ein Teilzeitjob wie jeder andere auch. Hätte Nikki das Geld samstags als Aushilfe in Geschäften verdienen können, hätte sie es gemacht. Doch die Wirtschaftskrise hatte diese Art von Stellen vernichtet, und so hatten die Mädchen einen anderen Weg gefunden. Der wie beiläufig wirkende Mangel an Moral war sowohl schockierend als auch furchteinflößend. Es wäre unmöglich, Nikki begreiflich zu machen, wo ihr Fehler lag, weil sie einfach nicht sah, was sie falsch gemacht hatte. Die Risiken eines solchen Nebenerwerbs waren ihr erst jetzt zu Bewusstsein gekommen, nach Lynnes Tod. Trotzdem schien sie nicht imstande, den Zusammenhang zu erkennen. Meredith spürte genau jene Hilflosigkeit in sich, die Sozialarbeitern so sehr vertraut ist.
»Ihr habt Männer aufgerissen«, sagte sie.
»Und ihr seid mit ihnen in das Mausoleum der Devaux-Familie gegangen. Warum habt ihr es nicht in den Autos gemacht?« Nikki sah Meredith geduldig an.
»Sie hätten uns hinterher rauswerfen und davonfahren können, ohne zu bezahlen! Außerdem, in einem Wagen sitzt man wie in einer Falle. Deswegen haben wir sie aus ihren Autos geholt, kapiert?«
»Ja, sicher. Aber die Gruft, war es nicht ziemlich schaurig dort?« Nikkis Gesicht hellte sich auf.
»Ja. Total schlimm!« Meredith blinzelte. Offensichtlich standen sie und Nikki auf den entgegengesetzten Seiten eines kulturellen und sprachlichen Abgrunds. Es war wohl genau diese Schaurigkeit, die das Mausoleum so begehrenswert hatte erscheinen lassen, die ihm eine erotische Anziehungskraft verliehen hatte – die Faszination der Vampirlegende. Und so, wie Nikki
»schlimm« betont hatte, meinte sie eindeutig
»gut«.
»Genau wie in einem Horrorvideo! Ein paar der Kerle mochten es nicht besonders, aber die meisten kamen total in Fahrt! Sie rannten rum und machten Geräusche wie Geister und standen auf den Särgen, als wären sie Dracula persönlich! Ein paar sahen richtig lächerlich aus!« Nikkis Begeisterung schwand.
»Nur hätten wir nie gedacht, dass es wirklich mal ein Grab wird. Ich meine, für Lynne …« Meredith spürte Zorn in sich aufsteigen. Nicht auf Nicki, sondern auf eine Popkultur, die zwei junge Gehirne so korrumpiert hatte.
»Aber wie seid ihr reingekommen? Ihr müsst irgendwann die Schlüssel bekommen haben. Hat der Schweinehirte sie euch gegeben?«
»Was denn, Onkel Winston?« Nikki kicherte unerwartet.
»Der traut sich nicht mal in die Nähe! Einmal ist er gekommen, als wir drin waren, Lynne und ich. Wir haben uns nur umgesehen. Wir sind auf ein Sims geklettert und haben ihn durch die Fenster gesehen, wie er hinter seinen Schweinen her ist! Wir haben laut gestöhnt, und er hat uns gehört und ist mit wedelnden Armen und vollen Hosen weggelaufen!«
»Und wer hat euch den Schlüssel gegeben?« Nikki sah Meredith an und presste die Lippen aufeinander.
»Ich schätze, ich kann’s mir denken«, sagte Meredith.
»Ich denke, ich weiß, wer es war, aber ich weiß nicht, warum. Katie Conway hat euch den Schlüssel gegeben, stimmt’s?« Nikki erwiderte Merediths Blick herausfordernd.
»Na und? Es war ihr Haus und ihr Schlüssel! Ihr Familiengrab, wo all ihre toten Verwandten liegen! Warum hätte sie uns den Schlüssel nicht geben sollen?«
»Es ist die umgekehrte Frage, die mich interessiert. Warum hat sie ihn euch gegeben?«, beharrte Meredith.
»Wo hast du Katie kennen gelernt, Nikki? Und was hattet ihr gegen Katie in der Hand, um sie dazu zu bringen, euch den Schlüssel zum
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