Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Schöner Ort Zum Sterben

Ein Schöner Ort Zum Sterben

Titel: Ein Schöner Ort Zum Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Granger Ann
Vom Netzwerk:
eines dicken Pfeilers kniete. Die Gestalt hatte den Kopf gesenkt und schien zu beten. Meredith wollte sich erneut zurückziehen, aus Respekt vor der Andacht des anderen. Dann gab die Gestalt ein deutliches Schluchzen von sich. Da weinte jemand, und es klang eindeutig weiblich und noch sehr jung. Meredith betrat die Kirche und ging zu der Fremden. Es war ein junges Mädchen, und es hatte den Kopf auf den gefalteten Händen ruhen. Meredith sah nur ihre Haare, die im Licht von der Kanzel rot leuchteten wie glühende Kohle. Meredith wusste, dass die Frage
    »Ist alles in Ordnung?«, genauso albern war wie
    »Fehlt dir etwas?«, und doch stellte sie beide, denn es war eine etablierte Floskel in Fällen wie diesem, und ihr fiel nichts Besseres ein. Das Mädchen hob den Kopf. Ihr Gesicht war bleich und oval und von den roten Locken ihrer langen Haare eingerahmt. Ihre pausbäckige Anmut war vom Schmerz verzerrt. Es war das Gesicht eines Kindes mit den Augen einer Frau, eine lebende Murillo, eine Maria Magdalena in unserer Zeit. Meredith ahnte, wer dieses Mädchen vor ihr war. Sie setzte sich auf die Bank und sagte leise:
    »Hallo. Mein Name ist Meredith Mitchell. Ich habe einen Vortrag vor dem Jugendclub der Kirche gehalten, aber ich glaube, dein Gesicht habe ich nicht gesehen.« Das Mädchen schüttelte den Kopf. Es richtete sich aus seiner knienden Haltung auf und setzte sich neben Meredith auf die Bank, wobei es die widerspenstigen roten Locken aus dem Gesicht schob.
    »Ich gehe nicht mehr in den Club«, sagte es mit rauer Stimme.
    »Früher bin ich immer gegangen, bis vor ein paar Jahren. Dann hab ich irgendwann den Glauben verloren.«
    »Oh! Ich verstehe.« Meredith wartete. Im schwachen Licht meinte sie zu erkennen, dass das Mädchen errötete.
    »Ich meine, ich weiß, dass ich jetzt hier bin, aber … aber …«
    »Aber du steckst in einer Klemme«, sagte Meredith.
    »Und du weißt nicht, was du tun sollst, richtig?«
    »Ja …« Das Mädchen nickte heftig, und die roten Locken flogen.
    »Du bist nicht zufällig Nikki Arnold?« Sie sah Misstrauen in den Augen des Mädchens aufflackern.
    »Hören Sie«, sagte es,
    »woher wissen Sie das?«
    »Nun, ich bin eine Freundin von Chief Inspector Markby, der den Mord an Lynne Wills untersucht. Du bist wegen Lynne hier, habe ich Recht? Sie war deine Freundin?« Nikki verschränkte die Arme vor der Brust und wiegte sich, als wäre ihr kalt, doch vielleicht wollte sie sich mit dieser Geste auch nur selbst trösten.
    »Ja. Wir waren richtig gute Freundinnen. Der Gedanke, dass Lynne tot ist, ist schrecklich. Und auch eigenartig. Ich meine, manchmal kann ich es überhaupt nicht glauben, dass sie tot ist. Es kommt mir dann so unwirklich vor. Ich habe ein paar Kassetten von ihr zu Hause, die sie mir geliehen hat. Ich kann sie nicht hören. Es ist, als wäre sie bei mir, als würde sie mich beobachten. Ich schätze, ich sollte zu ihren Eltern gehen und die Kassetten zurückgeben, aber ich kann nicht. Ihre Mutter und ihr Vater, sie würden anfangen Fragen zu stellen, wie diese Polizistin.«
    »Nikki«, sagte Meredith sanft,
    »weißt du, wer deine Freundin Lynne ermordet haben könnte?« Nikki riss erstaunt die Augen auf.
    »Nein, natürlich nicht!«
    »Aber du willst, dass der Mörder gefunden wird, oder? Und du weißt ein paar Dinge, über die du mit niemandem gesprochen hast, stimmt’s? Alles hilft weiter, jede noch so unbedeutende Information. Wenn genügend Puzzlesteine zusammenkommen, kann die Polizei den Mann überführen, der Lynne ermordet hat.« Nikki sah auf ihre Hände und verschränkte sie ineinander. Meredith bemerkte, dass die Fingernägel abgekaut waren.
    »Diese Polizistin!«, stieß sie mit überraschender Heftigkeit hervor.
    »Sie hatte kein Recht, zu uns nach Hause zu kommen und so mit meiner Mum zu reden! Sie hat meiner Mum Geschichten über mich erzählt! Sie hat alles noch viel schlimmer gemacht, als es ist. Mum ist seitdem stinksauer auf mich! Ich bin immer gut mit ihr ausgekommen. Wir waren richtige Freundinnen! Diese Polizistin hat alles verdorben!«
    »Nein, Nikki«, widersprach Meredith leise.
    »Du selbst hast alles verdorben. Aber jetzt hast du eine Chance, alles wieder in Ordnung zu bringen. Du hast Glück, weißt du das? Normalerweise bekommen wir diese Chance nicht, wenn wir einen Fehler machen, glaub mir.« Beide schwiegen, und die Pause zog sich in die Länge. Ein Balken oben im Dach knackte laut.
    »Es war doch alles nur Spaß«, sagte Nikki

Weitere Kostenlose Bücher