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Ein Schöner Ort Zum Sterben

Ein Schöner Ort Zum Sterben

Titel: Ein Schöner Ort Zum Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Granger Ann
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grauhaariger, kompetenter Mann. Man konnte keine Abneigung gegen ihn hegen. Man wurde allerdings auch nicht warm mit ihm. Er erinnerte Markby an einen stählernen Aktenschrank, zäh, praktisch, unliebenswürdig und nützlich, der sich wunderbar in den Hintergrund einfügte. Doch ein Aktenschrank, wenn man ihn nicht mit der notwendigen Umsicht behandelte, konnte einem gemein die Finger einklemmen, oder man konnte sich übel daran stoßen. Markby vermutete insgeheim, dass für Norris genau das Gleiche galt.
    Eine von Norris’ ersten Amtshandlungen war es gewesen, sämtliches Mobiliar in McVeighs altem Büro umzustellen. Es war irritierend, erinnerte sich Markby mit einem Stirnrunzeln. Jedes Mal, wenn er das Büro des neuen Superintendents betrat, starrte er auf Stellen, wo früher bestimmte Dinge gestanden hatten und heute nicht mehr standen. Er fühlte sich unsicher und hoffte wirklich sehr, dass das Umstellen nicht mit eben dieser Absicht geschehen war. Doch bei Norris war das schwer zu sagen.
    Eine weitere Störung in der täglichen Routine wurde durch Pearce verursacht, Markbys unermüdlichen Assistenten. Pearce war zu einem Fortbildungslehrgang abgeordnet und bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht ersetzt worden. Norris hatte Markby einen Beamten als Vertretung versprochen, den er von irgendwo im Bezirk abziehen wollte, und Markby hoffte sehr, dass es nicht zu irgendeiner Katastrophe kam, bevor der neue Mann aufgetaucht war.
    Markby seufzte. Wann immer die Dinge zu deprimierend wurden, richtete er seine Gedanken auf Meredith Mitchell, um wieder in bessere Stimmung zu kommen. Das war der einzige Umstand, der sich tatsächlich verbessert hatte. Meredith lebte nun in Bamford und pendelte tagtäglich nach London. Es war zeitraubend und anstrengend für sie, doch Markby sah es mit ganz und gar selbstsüchtiger Freude. Vielleicht würde sich ihre Beziehung, die bisher eher von Zufällen bestimmt worden war, jetzt, da Meredith ständig in Bamford lebte und beide ein wenig mehr voneinander hatten, auf eine solidere Basis stellen lassen. Markby begann zu überlegen, ob Meredith vielleicht Lust hatte, an diesem Wochenende irgendwohin ins Grüne zu fahren – vorausgesetzt, das Wetter spielte mit –, oder ob sie darauf bestehen würde, ihre Küche zu streichen.
    Seit sie dieses heruntergekommene alte Reihen-Endhaus gekauft hatte, war bei ihr eine richtiggehende Do-it-yourselfManie ausgebrochen. Wann immer er sie besuchte, stand sie entweder auf einer Leiter oder kroch mit einem Hammer und Nägeln bewaffnet auf dem Fußboden herum. Und bevor Markby sich’s versah, kratzte er alte Tapeten von den Wänden oder zog alte Dielen aus dem Boden.
    Markby riss sich zusammen, stieg aus dem Wagen und verschloss die Tür. Als er sich der Station zuwandte, hörte er jemanden rufen.
    »Entschuldigung! Ja, Sie dort! Verzeihung!«
    Eine Gestalt eilte über den Parkplatz auf ihn zu. Er schätzte sie als weiblich ein, doch es war schwierig zu sagen. Sie trug einen Filzhut, der bis auf die Augenbrauen hinuntergezogen war, und hatte einen wollenen Schal um den Hals und die untere Gesichtshälfte geschlungen. Darunter befand sich ein dick gefütterter Mantel, dicke Baumwoll-Jogginghosen und pelzbesetzte Stiefel. Die Hände steckten in Fäustlingen, und einer davon umklammerte eine Leine, an deren Ende ein kleiner langhaariger Hund hüpfte, der wie seine Besitzerin in einem warmen Mantel steckte. Mit dem anderen Fäustling winkte die Gestalt Markby drängend, auf sie zu warten.
    Atemlos blieb sie schließlich vor Markby stehen.
    »Sind Sie Polizeibeamter?« Die Stimme klang durch die dicken Wollschichten dumpf und undeutlich, ein Kontraalt, eindeutig weiblich.
    »Ja, Ma’am«, antwortete Markby höflich.
    Sie zog den Schal vom Mund. Ihr Gesicht war rot angelaufen, und auf ihrer Oberlippe zeigte sich ein schwacher Damenbart. Es war schwierig, ihr Alter abzuschätzen; vielleicht um die Sechzig.

    »Ich bin Miss Rissington«, stellte sie sich vor und nahm den kleinen Hund auf den Arm. Er hechelte, und seine Zunge hing heraus.
    »Das hier ist Tiger.«
    Der Hund mit den hellen Knopfaugen und seine Besitzerin mit den vorquellenden blauen Augen musterten Markby erwartungsvoll. Er lächelte zurück. In jeder Stadt gab es eine Miss Rissington. Sie waren im Allgemeinen Töchter eines längst verstorbenen Vikars, eines einheimischen Arztes oder pensionierten Colonels. Niemand wäre auf den Gedanken gekommen, sie vertraulich beim Vornamen anzusprechen. Sie

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