Ein Schöner Ort Zum Sterben
Maria wollte weit mehr, als er ihr bieten konnte, jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt.
Es ging schließlich nicht nur um Adeline, sondern auch um seine Tochter Katie. Er würde niemals etwas tun, das sein kleines Mädchen betrüben könnte, und sein kleines Mädchen hasste Maria wie die Pest. Maria hielt Katie für verzogen, was natürlich Unsinn war. Maria hatte keinen Bezug zu Kindern, eines jener Felder, wo er sich gewünscht hätte, dass sie wenigstens andeutungsweise so etwas wie Schwäche gezeigt hätte, aber nein. Außerdem – zu viel Schwäche, und sie würde enden wie Adeline. Er saß in einer Zwickmühle zwischen den Frauen in seinem Leben, und seine Lage wurde zunehmend verzweifelter.
Adeline. Wie sollte er sich hier und heute konzentrieren, nach jenem eigenartigen Erlebnis letzte Nacht? Er war wie üblich zu Bett gegangen und eingeschlafen. Dann, so gegen zwei Uhr morgens, war er mit einem Gefühl aufgewacht, dass etwas nicht stimmte. Einem derart eigenartigen Gefühl, dass seine Nackenhaare sich aufgerichtet hatten und seine Zunge ganz pelzig geworden war. Er hatte sich in seinem Bett aufgesetzt. Das Haus lag so still, wie ein derart altes Haus nur liegen kann: Das übliche Knarren war zu hören, das Ächzen von altem Holz und ineffizienten Wasserleitungen, die noch aus viktorianischer Zeit stammten, das Pfeifen des Windes durch die alten Scheiben, das Rascheln eines Vorhangs in der Zugluft, von der es im Haus reichlich gab. Und dann – ein lauteres Knarren, von der Treppe her.
Matthew schlüpfte aus dem Bett, warf sich seinen Morgenmantel über und öffnete vorsichtig die Tür. Sie hatten ein einfaches Alarmsystem im Haus, und wahrscheinlich war es nur eine Treppenstufe gewesen, die sich in der nächtlichen Kälte verzogen hatte. Er lauschte. Nein, irgendjemand bewegte sich leise unten in der Halle, kein Zweifel möglich.
Er trat auf den Korridor hinaus und beugte sich über die Balustrade, die um die Galerie im ersten Stock verlief. Es war niemand zu sehen, doch die Tür zum Salon stand offen, und ein schwacher Lichtschein fiel auf den Flur hinaus. Dort unten war jemand, und er hatte eine Tischlampe eingeschaltet. Der Lichtstrahl bewegte sich nicht, wie es der Schein einer Taschenlampe getan hätte.
Matthew wurde bewusst, wie kalt es war und dass er versäumt hatte, seine Hausschuhe anzuziehen. Jetzt war es zu spät, um zurückzugehen und sie zu holen. Er schlich die Treppe hinunter, dicht an der Wand entlang, um das Knarren der Stufen zu unterdrücken, bis er die Tür des Salons erreicht hatte. Sie stand einen Spaltbreit offen, und vorsichtig spähte er hindurch.
Wie vermutet brannte eine der Tischlampen und verbreitete einen schwachen Lichtschein im Salon, der voller Schatten und dunkler Flecken war. Matthew sah die Überreste des Feuers, das dunkelrot und schwach hinter dem für die Nacht angebrachten Sicherheitsgitter glühte. Er ging das Risiko ein und öffnete die Tür ein wenig mehr.
Eine dürre Gestalt stand auf der anderen Seite am Fenster, hielt den Vorhang mit bleicher Hand zur Seite und starrte in die Nacht hinaus. Es war eine Frau in einem weißen Gewand, mit wirrem langen Haar, das ihr bis weit über die Schultern fiel. Erschrocken wurde ihm bewusst, dass es seine Frau war, mit offenen Haaren und in einem leichten Morgenmantel aus Satin über dem Schlafanzug.
Er öffnete bereits den Mund, um zu fragen, was um alles in der Welt sie da mache, doch dann fiel ihm ein, dass es gefährlich war, Schlafwandler aufzuwecken. Wenn sie tatsächlich schlafwandelte. Er erinnerte sich, dass sie in letzter Zeit des Abends häufiger an jenem Fenster gestanden und nach draußen gestarrt hatte, obwohl es außer dem leeren Park im Mondschein nicht das Geringste zu sehen gab. Es erstaunte ihn nicht wenig, sie hier vorzufinden denn er kannte ihre Angst vor der Dunkelheit. Es bestärkte ihn noch in der Annahme, dass sie schlafwandelte. Doch was war es, was sie dort draußen sah, ob nun bewusst oder unbewusst?
Das heruntergebrannte Feuer im Kamin prasselte, und ein paar Funken stoben auf. In den zu neuem Leben erwachten Flammen konnte er ihre Umrisse vor dem Hintergrund der dunklen Vorhänge deutlicher erkennen, und was er sah, ließ ihn den Atem anhalten. Sie war wunderschön, trotz ihrer abgemagerten Gestalt. Ihr Gesicht passte so sehr zu dem zerbrechlichen Körperbau. So bewegungslos, wie sie dastand, erinnerte sie ihn an eine klassische Statue. Und dann stellte er zu seiner größten Überraschung
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