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Ein Schöner Ort Zum Sterben

Ein Schöner Ort Zum Sterben

Titel: Ein Schöner Ort Zum Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Granger Ann
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regte sich Adeline Conway und schlug blinzelnd die Augen auf.
    »Prue?« Sam der Kater lag zusammengerollt auf dem Bett. Er öffnete ein grünes Auge und schloss es wieder, als Adeline sich aufrichtete und in ihrem Zimmer umsah. Es muss Abend sein, dachte sie. Durch das Fenster drang kaum mehr als graue Dämmerung. Sie schwang die Beine aus dem Bett und tastete nach ihren Hausschuhen. Dann warf sie einen Blick in den Spiegel und runzelte die Stirn, als sie die tiefen Schatten im Gesicht ihres Ebenbilds sah, unsicher, wer ihr da entgegenblickte. Sie berührte ihre Stirn und die Haare mit forschenden Fingern, und das Spiegelbild tat das Gleiche. Also war sie tatsächlich diese bleiche, magere Frau mit den gehetzten Augen. So sah sie also aus! Das war es, was andere sahen, wenn sie vor ihnen stand. Sie überlegte, wie alt sie eigentlich war, denn irgendwie hatte sie im Verlauf der letzten Jahre aufgehört, ihre Geburtstage zu zählen. Sie rechnete nach. Katie war sechzehn. Das bedeutete also, dass sie, Adeline, achtunddreißig sein musste. Da war noch etwas mit Katie, etwas, das ihr nicht einfallen wollte. Es war da, in irgendeinem Winkel ihres Verstandes, doch der Zugang dazu war blockiert, als läge es hinter einer Mauer. Sie blickte sich um und wusste, wer sie war, wo sie war – und dann konnte sie nicht mehr weiterdenken, weil die Mauer im Weg war. Was auch immer auf der anderen Seite lauerte, es war sehr, sehr schlimm. Sie wollte nicht darüber nachdenken, sich nicht daran erinnern. Besser, die Mauer da zu lassen, wo sie war, als Schutz. Sie ging nach draußen in die Halle. Es war sehr still überall. Nur die Uhr tickte irgendwo unten in der Eingangshalle. Sie lauschte an Prues Tür. Sie hörte ein schwaches, rhythmisches Schnarchen. Prue schlief also. Matthew war … Wo war Matthew nur? Er war in seinem Büro! Sie würde hinuntergehen und ihm sagen, dass sie zusammen Tee trinken würden. Es musste Teezeit sein. Die Uhr unten schlug vier, wie zur Bestätigung. Sie erinnerte sich undeutlich, dass die Uhr falsch ging, schon seit Jahren, doch es spielte keine Rolle. Sie würde Matthew in seinem Büro abholen, und sie würden zusammen Tee trinken. Wenn Katie in der Zwischenzeit nach Hause käme, würde sie sich mit zu ihnen an den Tisch setzen. Der Gedanke an ihre Tochter weckte erneut Unruhe in ihr. Irgendetwas war doch … Vorsichtig ging sie nach unten und hielt sich dabei am Geländer fest. Matthews Bürotrakt lag auf der anderen Seite der grünen Tür. Adeline nahm sie angstvoll in Augenschein. Sie war noch nie jenseits dieser Tür gewesen. Aber dort war Matthew, und vielleicht war auch Katie dort. Mit beispielloser Tapferkeit streckte sie die Hand aus und drückte die Klinke herab. Die Tür schwang lautlos in gut geölten Angeln auf. Adeline ging hindurch und betrachtete voller Staunen das moderne Wunderland, das dahinter lag. Hier war ja alles so hell und sauber! Und so warm! Sie befand sich in einem kurzen, schmalen Korridor. Die Wände waren weiß gestrichen, beleuchtet von hellen Neonlampen in der Decke. Auf dem Boden lag ein blau-grauer Teppich. Eine offenstehende Tür zur Rechten zeigte ein leeres, abgedunkeltes Büro mit einem großen viktorianischen Schreibtisch. Adeline erinnerte sich an diesen Schreibtisch – er hatte ihrem Vater gehört. Matthew musste ihn hier her geschafft haben. Doch Matthew war nicht da. Irgendjemand anderes hielt sich in einem Raum zur Linken auf. Nicht hinter der ersten Tür, hinter der zweiten, am Ende des Korridors. Was lag hinter der ersten? Sie öffnete sie neugierig und entdeckte voll Überraschung eine moderne kleine Küche, Teegeschirr, einen Kessel, eine Biskuitdose. Also konnten sie ihren Tee gleich hier im Büro nehmen! Sie ging weiter zur zweiten Tür. Dahinter erklang das Geräusch einer Schreibmaschine. Adeline öffnete lautlos die Tür und hielt den Atem an. Es war ein großer, strahlender Raum mit einem Schreibtisch, Aktenschränken, einigen Maschinen, deren Zweck sie nicht verstand, und einer jungen Frau, die mit dem Rücken zu ihr gewandt an einer Schreibmaschine saß. Die junge Frau besaß langes, glattes, hellblondes Haar. Adeline näherte sich leise über den blauen Teppich. Die Sekretärin tippte weiter, ohne etwas zu bemerken. Adeline roch ihr Parfüm. Sie sah die Hände der Frau, lange rote Fingernägel, die munter auf die Tasten tippten. Laut fragte sie:
    »Wer sind Sie?« Die Sekretärin gab einen unterdrückten Schrei von sich und wirbelte herum. Ihr

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