Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)
kopfschüttelnd die Tür.
Puzzlespielen
Als ich wach wurde und die Augen öffnete, blitzte bereits Tageslicht durch den Spalt zwischen den Vorhängen, und mir wurde sofort klar, dass mein Plan nicht aufgegangen war.
Nach meinem ersten Fluchtversuch, in dessen Verlauf ich Ryan, der gerade aus dem Bad kam, buchstäblich in die Arme gelaufen war, hatte ich mich wieder in mein Zimmer begeben, mich aufs Bett gesetzt und fest vorgehabt, so lange zu warten, bis aus dem Nebenzimmer nichts mehr zu hören war.
Nun ja, zumindest war es gut geplant, auch wenn es an der Ausführung haperte.
Morgendliche Geräusche drangen durch meine Tür und bewiesen mir endgültig, dass ich nicht nur meinen nächtlichen Streifzug in die Galerie, sondern offensichtlich auch alle nur erdenklichen Spukgeschichten einfach verschlafen hatte.
Ich erkannte Finns Stimme, die merklich unter den Einwirkungen von Whisky und Zigarren gelitten hatte, und Ryans leises Gelächter, der sich vermutlich über Finns Zustand amüsierte. Alles beim Alten, dachte ich.
Nur die Kälte an diesem Morgen – die war neu. Es wunderte mich fast, dass mein Atem nicht in kleinen Wolken aufstieg. Ich schlug das Federbett beiseite, unter das ich irgendwann in der Nacht gekrochen sein musste, und schob die Beine aus dem Bett. Der Dielenboden war so ausgekühlt, dass sich meine Zehen vor Schreck krümmten. So schnell ich konnte, huschte ich hinüber zum Kamin und entfachte ein Feuer. Als es endlich brannte, schaute ich mich um und entdeckte unter dem Fenster einen alten Röhrenheizkörper. Ich lief hinüber und legte meine Hände darauf. Nichts. Obwohl – wenn ich die Augen schloss und mich völlig auf das Metall unter meinen Händen konzentrierte … Ja, doch, sie war an.
„Schottland“, murmelte ich und nahm mir fest vor, zwar nicht wieder in meinen Sachen zu schlafen, aber auf jeden Fall mit Strickjacke und Socken ins Bett zu gehen.
Mit Schwung zog ich die Übergardinen beiseite, blickte hinaus in den strömenden Regen und erinnerte mich spontan an den Mann am Flughafen in Edinburgh, der beim Anblick des Regens dort etwas von „Pissin Dunn“ gemurmelt hatte – was auch ohne große Sprachkenntnis leicht zu übersetzen war.
Was soll’s, dachte ich. Wahrscheinlich würde ich sowieso kaum Zeit für einen Streifzug durch den Park finden. Ich schlang die Arme um mich, überlegte kurz, ob man hier noch vor der Dusche einen Kaffee bekommen könnte, hielt dies jedoch für ebenso aussichtslos wie die Chance auf Sonne und Wärme und schnappte mir schließlich meine Waschtasche, den Bademantel und meine wärmsten Socken.
Auf dem Gang vor meinem Zimmer wühlte eine junge, rothaarige Frau, die mit dem Rücken zu mir stand, in einem Schrank voller Handtücher und Bettwäsche.
„Guten Morgen!“, sagte ich, und sie erschrak so sehr, dass sie sich den Kopf an einem Regalboden stieß.
„Ach, herrje!“ Ich lief zu ihr und nahm ihr den Stapel Handtücher ab, da er sich bedenklich zur Seite bog. „Tut mir leid! Ich wollte mich nicht anschleichen.“
„Das können Sie aber ganz gut“, erwiderte sie und rieb sich schmunzelnd den Kopf.
„Wirklich? Vielen Dank!“ Ich lächelte und reichte ihr die Hand. „Hi, ich bin Jo.“
„Guten Morgen! Ailsa. Ich meine, so heiße ich.“
„Schöner Name. Hat er eine Bedeutung?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Ja, die, dass meine Mum eine unverbesserliche Romantikerin ist. Willst du ins Bad? Ich bin gleich fertig.“
„Keine Eile. Sag mal, bin ich eigentlich die Letzte?“
Ailsa lächelte und nahm mir die Handtücher ab. „Sieht so aus“, sagte sie und verschwand im Bad.
Ich folgte ihr bis zur Tür und lehnte mich gegen den Rahmen.
„Bist du hier …“ Ich suchte nach einem etwas moderner klingenden Begriff, doch sie kam mir mit dem banalsten Ausdruck zuvor.
„Das Dienstmädchen?“, fragte sie. „Ja, so in etwa. Milly ist meine Tante, und ich verdiene mir hier ein bisschen was dazu. Ich studiere Kunst in Glasgow, habe gerade Semesterferien. Und du? Bist du auch eine Geisterjägerin?“
Ich lachte. „Als solche würde ich mich nicht unbedingt bezeichnen. Ich bin da eher die Kritikerin.“
Sie drehte sich zu mir und blickte mich an. „Du glaubst nicht an Geister?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein.“
„Da bist du hier am richtigen Ort.“
„Warum?“
„Weil man seine Überzeugungen jederzeit ändern kann“, sagte sie und trat aus der Tür. „So, jetzt bin ich weg. Wenn du Frühstück möchtest, meine
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