Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)
ins hohe Alter austragen.“
Marlin lächelte und wollte mich auf seinen Schoß ziehen.
„Nein!“, sagte ich und drohte mit dem Finger. „Lass das! Ich bin immer noch wütend.“
„Aye, das sehe ich.“
„Ich dachte, du wärst der vernünftigere von euch beiden, Marlin! Aber du bist genauso wie er, immer zum Angriff bereit. Um was zum Teufel ging es da eigentlich?“
„Was glaubst du denn, um was es da ging?“
Ich starrte ihn an. Er legte den Kopf schief und erwiderte den Blick freiheraus. Ich hatte es nicht wahrhaben wollen, als ich sie dort vor dem Torhaus sitzen sah, blutig, zerschrammt und voller Hass aufeinander, aber was ich da nun in seiner Miene las, bestätigte es.
„Wo leben wir denn? Im Mittelalter?“, fragte ich. „Soll ich mich jetzt geschmeichelt fühlen?“
„Er hat geschworen, dich mir wegzunehmen, und ich habe nicht vor, brav danebenzustehen und tatenlos zuzuschauen. Nicht, wenn ich es verhindern kann.“
„Habe ich da noch ein Wörtchen mitzureden, oder bin ich bloß die Trophäe?“
„Natürlich bist du keine Trophäe. Und du bist nicht schuld an dem, was geschehen ist. Früher oder später wäre es so oder so dazu gekommen.“
„Ihr zwei habt also lediglich nach einem passenden Grund gesucht, um euch zu prügeln. Und der war ich? Habt ihr Schafsköpfe denn nichts Sinnvolleres zu tun?“
„Jo, bitte!“
„Nein, ich muss nachdenken“, wehrte ich ab, nahm meine Tasche und wollte gehen.
„Jo, ich liebe dich“, sagte er leise hinter mir.
Ich blieb stehen und drehte mich um. „Ich liebe dich auch, Marlin – und ich liebe Ryan. Und glaube mir, ich wünschte, es wäre nicht so, aber es ist, wie es ist. Und deswegen werde ich nicht fröhlich mit ansehen, wie ihr euch weiterhin die Köpfe einschlagt. Wenn ihr euch schon das Leben schwermachen müsst, dann tut es nicht meinetwegen.“
Ich wandte mich um und suchte mein Heil in der Flucht.
Dritter Teil
Erkenntnis
Wenn du erkennst, dass du richtig oder falsch lagst, bist du noch lange nicht am Ziel.
Café au Lait
Ich lief durch den Park, der nun nach dem Sturm einer unordentlichen Idylle glich. Überall lagen verwehte Blüten, Blätter und kleine Äste auf den Wegen. Die Zweige von Goldregen und Spieren hingen tief, schwer vom Wasser, so dass ihre Blüten den Boden berührten. Die Luft war rein und frisch und roch nach Fruchtbarkeit. Von den Bäumen tropfte es auf meinen Kopf, und der Regen war zu einem Nieseln abgeflaut, der sich wie ein sanfter Schleier auf alles legte.
Ein Schleier, der es jedoch nicht vermochte, meine Gefühle vor mir selbst zu verbergen. Ich liebte sie tatsächlich beide. Ich konnte mich nicht länger vor dem verschließen, was offensichtlich wurde, als sie aufeinander losgingen. Mein Herz hatte sich von einem Moment auf den anderen geteilt, als hätte die Angst um Ryan und Marlin es entzweigerissen wie ein Blatt Papier. Seitdem hatte ich diese Gefühle energisch verdrängt, doch langsam sah ich ein, dass ich da gegen Windmühlen kämpfte.
Bilaterale Liebe, ging es mir durch den Kopf. War so was tatsächlich möglich?
Ich wanderte ein Stück abseits vom Hauptweg durch eine duftende Ansammlung von weiß blühenden Büschen und stand plötzlich auf einer kleinen Felsnase. Unter mir in etwa drei bis vier Metern Tiefe schlugen die sanften Wellen des Loch Monadail gegen das Gestein. Bocan uaimh . Ich beugte mich etwas vor, um hinunterzuschauen, und fragte mich, ob unter Wasser tatsächlich eine Höhle war. Zu sehen war jedenfalls nichts. Ich drehte mich wieder um und wanderte zurück zum Hauptweg.
Als ich mich der Burg näherte, sah ich Finn und Ryan in den Landrover steigen und wegfahren. Ich blieb stehen und verfolgte, wie der Wagen den Zufahrtsweg hinunterbrauste und schließlich im grünen Dickicht verschwand. Dann kamen Rupert und zwei Bedienstete von der anderen Seite der Burg. Die Männer schoben mit Holz beladene Karren vor sich her. Rupert winkte mir zu, ich grüßte zurück. Milly erschien an einem Fenster und rief Rupert etwas zu, was ich nicht verstand. Dann trat Ailsa aus einer Seitentür mit einem Korb voll Wäsche, blinzelte in die Luft und ging weiter zum Wäscheplatz. Hoch oben auf den Zinnen sah ich Malcolm und Lucas, und über den Bergen bahnte sich die Sonne langsam einen Weg durch die Wolken. Das Unwetter war vorbei, alles ging seinen gewohnten Gang. Irgendwie hatte dies etwas Versöhnliches an sich. Ich atmete tief durch, wandte mein Gesicht dem ersten Sonnenstrahl zu und
Weitere Kostenlose Bücher