Ein Schuss Liebe kann nicht schaden
„Was immer es ist, das Baby kann schreien. Laut schreien.“ Jakob lehnte sich in seinem Stuhl zurück und entspannte sich das erste Mal in dieser Nacht.
Phineas saß im Schaukelstuhl und schaukelte immer vor und zurück. Das hatte er die ganze Nacht getan. Jakob wunderte sich schon seit einer Weile, dass er auf den Holzplanken der Veranda noch keine tiefen Furchen erkennen konnte. Er hatte nichts dazu gesagt – Annie war eine verheiratete Frau. Wenn Phineas etwas für sie empfand, musste er das ignorieren.
„Deine Schwester hat nie gesagt, ob sie lieber einen Jungen oder ein Mädchen will.“
Jakob zuckte mit den Schultern. „Das ist Gottes Entscheidung, nicht unsere. Ein Junge wäre schön, dann könnte ich ihm beibringen, wie man eine Farm führt. Ein Mädchen wäre auch schön – dann hätte Emmy-Lou jemanden zum Spielen.“
„Die Zeit ist jedenfalls gut. Jetzt kann Annie sich noch ein wenig von der Geburt erholen, bevor –“ Phineas brach ab.
„Ja.“ Jakob wusste, was Phineas meinte. Aber nach den zauberhaften Momenten, die er mit Hope und Emmy-Lou unter dem Baum im Hof genossen hatte, wollte er am liebsten gar nicht mehr über eine Trennung nachdenken. Wie konnte er Hope wegschicken? Aber wie sollte es anders gehen? Hope, Annie und Emmy-Lous Sicherheit war jetzt das Einzige, was zählte.
Unruhig trommelte Phineas mit den Fingern auf die Armlehne des Schaukelstuhls. „Warum dauert das so lange? Warum kommen nicht Velma oder Hope zu uns? Glaubst du, dass etwas schiefgegangen ist?“
„Velma hat Hope bestimmt gesagt, sie soll das Baby baden, und dann muss es gefüttert werden. Das braucht alles seine Zeit.“ Jakob redete ganz ruhig, aber innerlich machte er sich genauso Sorgen. Um sich abzulenken, murmelte er: „Ich habe mich noch nicht entschieden, welches Lied ich dem Baby vorsinge. Weißt du noch – ich habe für Emmy-Lou und für Jakob junior nach ihrer Geburt jeweils ein besonderes Lied ausgesucht.“
Phineas sprang auf und lief die Veranda entlang. Dann wirbelte er herum, kam auf Jakob zu und sagte heftig: „Was macht das für einen Unterschied? Das Baby wird sich sowieso nicht daran erinnern.“
„Aber die Mutter – die wird sich erinnern. Also, was denkst du? ‚Du meine Seele singe‘ oder vielleicht ‚Nun danket alle Gott mit Herzen, Mund und Händen‘?“
Phineas summte die Melodie des ersten Lieds und ging in Gedanken die Verse durch. Plötzlich verstummte er. „Da heißt es, dass er das Licht der Blinden ist. Das ist keine gute Wahl. Nein, nein. Weder du noch Annie wollen jetzt an so etwas denken.“
„Du hast recht. Aber das Lied ist sonst sehr schön. Es geht um Gottes Kraft und Schutz. Wie findest du das andere?“
Phineas rieb sich nachdenklich den Hinterkopf. „Wie geht das noch mal?“
„‚Nun danket alle Gott mit Herzen, Mund und Händen, der große Dinge tut an uns und allen Enden.‘“ Phineas summte die Melodie. Dann schaute er Jakob an. „Ich glaube, das passt nicht zu Annie und dem Baby. Hast du noch einen anderen Vorschlag?“
„Du findest meine Vorschläge nicht gut? Vielleicht solltest du dir ein Lied ausdenken!“
Es entbrannte eine hitzige Debatte über das richtige Lied. Velma musste ein paarmal mit dem Fuß aufstampfen, bevor die Männer sie hörten. „Das wurde aber auch Zeit! Ihr könnt jetzt hinaufgehen zu Annie und dem Baby. Aber nicht zu lange – sie ist erschöpft.“
„Geht es ihr –“, begann Jakob.
„Gut?“, vollendete Phineas seine Frage.
„Es geht ihr sehr gut. Das war so ziemlich die leichteste Geburt, bei der ich je dabei gewesen bin. Das Baby ist ein bisschen dünn, aber das passiert oft, wenn die Mama in der Schwangerschaft Sorgen hat.“
„Junge oder Mädchen?“, fragte Jakob.
„Junge. Annie weiß noch nicht, wie sie ihn nennen will. Ihr könnt jetzt zu ihr gehen.“ Velma hob ein Bündel verschmutzter Laken auf und verschwand wieder.
Jakob stellte sich Phineas in den Weg. „Ich werde Annie deine Glückwünsche überbringen. Du gehst jetzt besser nicht zu ihr.“
Phineas machte den Mund auf, besann sich und presste die Lippen zusammen. Grimmige Entschlossenheit stand ihm ins Gesicht geschrieben. Ohne ein weiteres Wort machte er auf dem Absatz kehrt und stapfte zum Stall. Die Heftigkeit seiner Reaktion zeigte Jakob, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte, aber das machte es nicht wirklich leichter. Trotzdem musste er weiter auf Annie aufpassen.
Hope würde ihn verstehen. Sie hatten einen
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