Ein Schuss Liebe kann nicht schaden
nur aus wie ein Schatten, aber Hope konnte erkennen, dass er das Kissen gegen seine Brust drückte.
Ein Mann darf ruhig im Stillen trauern. Sie senkte den Blick. „Ich warte nur, bis Sie Ihre Tür wieder zugemacht haben, damit das Licht Ihre Schwester nicht wieder weckt.“
Die Tür, die er vorhin beim Aufmachen fast aus den Angeln gerissen hatte, schloss sich jetzt so leise, dass es fast beängstigend war.
* * *
„Es tut mir leid.“ Mrs Erickson schlurfte an Hopes Quilt vorbei und kletterte wieder ins Bett.
„Das muss Ihnen gar nicht leidtun. Es ist ja nicht Ihre Schuld. Sie sollten morgen früh etwas länger schlafen, weil das Baby Sie die ganze Nacht wachhält. Es reicht doch, wenn eine von uns das Frühstück macht, und da ich dafür bezahlt werde, stehe ich einfach auf.“
„Aber –“
„Jetzt darüber zu streiten, hilft weder Ihnen noch dem Baby. Es gibt den Rest des morgigen Tages über noch genug Arbeit, die wir uns teilen können. Sie brauchen so viel Ruhe, wie Sie nur bekommen können.“
Emmy-Lou setzte sich in ihrem Bett auf und verkündete: „Hühner mögen keine Butter.“
„Shhh. Schlaf. “ Annie überredete das Kind, sich wieder hinzulegen. Nachdem sie ihre Nichte wieder zugedeckt hatte, murmelte sie: „Sie redet manchmal im Schlaf, lauter verrückte Sachen.“
„Jetzt liegt sie ja wieder gut zugedeckt im Bett. Es ist immer hart für die Mädchen, wenn sie keine Mutter mehr haben – und es ist ein echter Segen für die Kleine, dass Sie hier sind und sich so lieb um sie kümmern. Das ist das Allerwichtigste, was sie hier tun.“
„Nachdem Naomi gestorben war, hat eine Kusine – Miriam – eine Zeit lang hier gewohnt. Ein schrecklicher Unfall ist während dieser Zeit passiert. Sie hat versucht, darüber hinwegzukommen, aber am Ende hatte sie vor allem Angst. Deshalb ist sie wieder weggegangen. Dann ist Jakob gekommen, um mich zu holen, damit ich mich um Emmy-Lou kümmere. Er macht sich immer noch große Sorgen, und Emmy-Lou darf nirgendwo allein hingehen. Nicht mal eine Minute. Einer von uns muss immer in der Nähe sein.“
„Ich kann Klatsch und Tratsch nicht ausstehen. Wenn Sie mir also nicht antworten wollen, weil Sie es für Tratschen halten, dann brauchen Sie nichts zu sagen. Aber vielleicht könnten Sie mir erzählen, was passiert ist, damit ich Ihnen helfen kann, auf Emmy-Lou aufzupassen.“
Eine Weile hörte man nur Emmy-Lous leise Atemzüge, doch dann sagte Mrs Erickson leise: „Jakob brauchte mehr Wasser, deshalb haben sie einen Brunnen gebohrt. Beim ersten Loch haben sie kein Wasser gefunden, und so haben sie etwas weiter weg ein zweites Loch gebohrt. Emmy-Lou ist in das erste Loch gefallen.“
Hope hielt sich vor Schreck die Hand vor den Mund.
„Niemand redet darüber. Die arme Emmy-Lou hat seitdem schreckliche Angst vor dem Dunkeln. Darum lassen wir auch die Vorhänge nachts immer ein bisschen offen.“ Annie gähnte.
„Wenn wir Ihr Bett auf die andere Seite des Zimmers stellen könnten, dann würde das Mondlicht nur auf Emmy-Lous Bett fallen und nicht zuerst auf Ihres. Würden Sie dann nicht besser schlafen?“
„Ich glaube nicht, dass Jakob hier etwas umräumen will.“
„Vielleicht nicht. Vielleicht aber doch.“ Hope tat, als ob sie auch gähnen müsste und kuschelte sich in ihren Quilt. „So sehr wie er sein kleines Mädchen liebt, wette ich, dass wir es nur erwähnen müssen, und schon saust er die Treppe hinauf und stellt das ganze Zimmer um.“
Mrs Erickson schlief bald wieder ein, aber Hope fand keinen Schlaf. Nach einer Weile gab sie auf, ging nach unten und schälte und schnitt noch mehr Obst. Sieben Gläser war nicht wirklich viel – aber jedes Glas, das sie einmachte, ohne dass Annie es sah, war wieder ein bisschen Arbeit, die der armen Frau erspart blieb. Wenn sie später eine Pfirsichpastete in den Backofen schob, würde das den schweren, süßen Duft in der Küche erklären. Haferbrei und Kaffee standen auf zwei der Herdplatten. In den beiden größten Töpfen erhitzte sie Wasser.
Hope trat auf die hintere Veranda und zog ihren Kamm aus der Schürzentasche. Es dauerte nicht lange, ihren Nachtzopf zu entflechten, ihre hüftlangen Haare zu kämmen und neu zu flechten. Schnell noch ein paar Haarklammern, und schon sah sie wieder anständig aus. Jedenfalls fast. Für einen Moment rollte sie ihre nackten Zehen auf den glatten Holzbrettern, bevor sie sich auf die Stufen setzte und ihre Füße wieder in die Stiefel zwang. Auf der anderen
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