Ein Schuss Liebe kann nicht schaden
nichts anzubieten, das den Schaden in den Augen Ihrer Tochter aufhalten oder rückgängig machen könnte. Es ist Ihnen sicher aufgefallen, als ich die Augen Ihrer Tochter ohne die Brille untersucht habe, dass sie nicht viel sehen kann.“
Verzweifelt presste Jakob seine Hand gegen die Stirn, als wollte er die Wahrheit damit von sich fernhalten. „Wie kann das nur sein?“, stöhnte er.
„Bis heute kann die medizinische Forschung die Auslöser für Krankheiten oft nicht erklären. Da es in Ihrer Familiengeschichte bisher keine Augenprobleme gab, denke ich nicht, dass es eine geerbte Augenschwäche ist. Sie haben erzählt, dass Emmy-Lou letztes Jahr sehr krank war – Fieber sagten sie. Ich bin mir natürlich nicht sicher, aber es kann sein, dass das hohe Fieber Zellen in Emmy-Lous Augen verbrannt hat oder die Zellen während der Krankheit nicht genug mit Nährstoffen versorgt wurden.“
„Aber wenn das so ist, warum sind ihre Augen dann nicht gleich schlechter geworden? Mir ist es nie aufgefallen, dass meine Tochter ein Problem hat. Meiner Schwester auch nicht. Emmy-Lou macht das so gut.“
„Das bezweifele ich auch nicht.“ Der Arzt griff nach dem seltsamen Instrument, mit dem er Emmy-Lous Augen untersucht hatte. „Deshalb denke ich auch, dass es ein fortschreitender Verlauf ist. Ich glaube, dass die Krankheit vor einem Jahr einen gewissen Schaden in ihren Augen angerichtet hat, der danach weiter fortgeschritten ist. Statt einer großen Veränderung über Nacht ist es eher eine kontinuierliche, langsame Einschränkung ihres Sichtfelds. Zu Hause weiß sie genau, wo alles liegt und steht, deshalb kann sie sich dort auch ohne Probleme orientieren.“
„Aber die Brille – wenn sie die trägt, wird sie doch nicht blind werden.“ Seine Angst zwang Jakob dazu, seinen Gedanken nicht als Frage zu formulieren, damit die Antwort ihm nicht auch noch den letzten Rest Hoffnung rauben konnte.
Vorsichtig legte der Doktor das Instrument zurück in das gepolsterte Etui. Dann sagte er nachdenklich: „Ich kann nicht sagen, ob sie ganz blind wird oder ob alles einfach so bleibt, wie es jetzt ist.“
„Aber Sie schließen nicht aus, dass meine Emmy-Lou blind werden könnte?“
„Nur unser himmlischer Vater weiß, was die kommenden Jahre bringen werden. Aber nach meiner Untersuchung wäre es unverantwortlich, wenn ich Ihnen nicht mitteilen würde, dass absolute Blindheit durchaus möglich wäre. Wie ich Ihnen schon sagte, ihr Sichtfeld ist ohne Korrekturhilfe erheblich eingeschränkt.“
„Gibt es noch jemand anderen, der sie untersuchen könnte? Vielleicht einer von diesen spezialisierten Ärzten?“
„Auch wenn es sich vielleicht wichtigtuerisch anhört – ich denke nicht, dass Sie hier in der Gegend einen anderen Arzt finden, der sich in der Augenheilkunde besser auskennt als ich. Ich habe in St. Louis bei der größten Koryphäe auf dem Gebiet der Augenheilkunde studiert, die Sie in unserem Land finden werden.“
„Dann bringe ich Emmy-Lou nach St. Louis zu ihm.“ Verzweiflung und wilde Entschlossenheit mischten sich in Jakobs Stimme. Er würde einen Kredit auf seine Farm aufnehmen, wenn das nötig wäre.
Der Doktor seufzte tief. „Er ist leider nicht mehr unter uns. Die Instrumente, mit denen ich Ihre Tochter untersucht habe, haben ihm gehört. Seine Witwe hat sie mir geschenkt.
Was die Brille betrifft – die Firma Mermod & Jaccard in St. Louis schleift die Linsen millimetergenau ein. Es war ein wirklich glücklicher Umstand, dass ich die richtige Stärke für Ihre Tochter überhaupt dahatte, und dann sogar noch bei einer Kinderbrille.“
Der Gedanke, dass irgendetwas an seiner Situation ein „glücklicher Umstand“ sein könnte, traf Jakob wie ein Hammerschlag. Er biss die Zähne zusammen, um nichts dazu sagen zu müssen.
Der Arzt verschränkte die Arme vor der Brust und sah Jakob direkt in die Augen. „Ihre Tochter ist ein glückliches Kind. Ich weiß, dass das Ergebnis meiner Untersuchung ein schrecklicher Schlag für Sie sein muss. Aber um Ihrer Tochter willen bitte ich Sie, sich davon nicht unterkriegen zu lassen. Nach meiner Erfahrung ist es meist nicht die Krankheit, die einen Patienten lähmt, sondern das Mitleid, das andere Menschen ihm entgegenbringen.“
Jakob schob die Hand in die Hosentasche. Wenn seine Tochter mit der Brille auch nur für eine Weile ein bisschen besser sehen konnte, dann würde er dafür sein gesamtes Geld hergeben. Aber es bedeutete nicht, dass er sich die
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