Ein Schuss Liebe kann nicht schaden
ich mich jetzt nicht an der frischen Luft bewege, kann ich heute Abend bestimmt nicht einschlafen.“
Hope atmete tief ein und gestand: „Ich muss dir etwas sagen. Deine Nichte hat sich heute das Knie aufgeschlagen.“
„Geht es ihr gut?“
„Außer dass sie eine Wunde am Knie hat, die ungefähr so groß ist“ – Hope formte einen Kreis so groß wie ein Zehn-Cent-Stück – „geht es ihr gut. Aber ich fühle mich schlecht deswegen.“
„So würde es mir auch gehen.“
Ein zögerndes Lächeln huschte über Annies Gesicht. „Aber ich freue mich trotzdem, dass sie heute mit ihren Freundinnen gespielt hat. Sie hat nicht oft die Möglichkeit, mit ihnen zu spielen.“
„Sie lieben sie alle heiß und innig.“
Emmy-Lou schlief länger als sonst. In der Zeit erntete Annie die Strauchbohnen, und Hope rupfte Unkraut. Annie hielt einen Moment inne und richtete sich auf.
„Ist alles in Ordnung?“ Hope schaute auf Annies kugelrunden Bauch. Velma hatte gesagt, dass das Baby jederzeit kommen könne, aber Hope hoffte, es würde noch eine oder zwei Wochen warten. Obwohl Annie sich wahrscheinlich wünschte, dass das Baby bald kommen würde.
„Ich bin ...“ Annie verstummte. Sie schirmte ihre Augen gegen die Sonne ab und schien etwas zu beobachten. „Warum kommt mein Bruder denn schon nach Hause?“
Hope richtete sich auf und drehte sich in dem Moment um, als Jakob gerade vom Pferd sprang.
Er machte immer große, kräftige Schritte – aber diesmal wirbelte der Staub hinter ihm auf, als er auf sie zugestürmt kam. Mit einem heftigen Ruck riss er sich seinen Strohhut vom Kopf. Seine Augen glühten vor Wut und er hatte die Zähne zusammengebissen. „Hope!“, bellte er mit letzter Beherrschung.
„Ja?“
„Wo ist meine Tochter?“
„Sie liegt im Bett und schläft.“ Hope wischte sich den Staub von den Händen.
„Sie hat sich so sehr wehgetan, dass ihre Freundinnen mir erzählen, sie hätte geheult wie ein Wolf, und du holst mich nicht? Und kein anderer sagt es mir?“ Er riss seinen verärgerten Blick gerade lange genug von Hope los, um kurz zu Emmy-Lous Zimmerfenster zu sehen, dann heftete er die Augen wieder auf sie. „Du solltest auf sie aufpassen.“
„Sie hat sich das Knie aufgeschlagen –“
„Und wer ist daran schuld? Du hättest sie nicht aus den Augen lassen dürfen.“
Hope sah kurz zur Seite. Dort stand Annie kreidebleich zwischen den Körben mit Bohnen und starrte ihren Bruder an. Hope richtete ihren Blick wieder auf Jakob, runzelte die Stirn und deutete mit den Augen kurz auf seine Schwester.
Er schien es gar nicht zu bemerken, sondern ließ seiner Wut freien Lauf. „Du solltest auf Emmy-Lou und Annie aufpassen und für uns kochen. Wenn dir das zu viel ist, dann sage es einfach und verschwinde.“
Annie schrie leise auf.
„Mach dir bloß keine Gedanken, Annie.“ Hope schob die Ärmel ihres braunen Kleides mit einem heftigen Ruck nach oben. „Der einzige Ort, zu dem ich gehe, ist die Pumpe. Da wasche ich mir die Hände, bevor ich die Laken von der Leine nehme. Meinst du, du könntest den Brotteig noch mal durchkneten? Das wäre mir eine große Hilfe.“ Hope wartete gar nicht erst auf eine Antwort. Sie lief direkt zur Pumpe.
Einen Augenblick später marschierte sie mit tropfenden Händen in Richtung Wäscheleine. Hinter sich hörte sie die schweren Schritte ihres Bosses. Statt sich zu ihm umzudrehen, ging sie bis ans andere Ende der Wäscheleine. Was ist nur mit diesem Mann los? Aber egal. Was immer es ist, ich muss es nicht herausfinden. Er will mich ja loswerden.
Viel zu schnell kam er hinter ihr her, ging um die Laken herum und stand fast direkt vor ihr.
Hope riss die erste Wäscheklammer von der Leine und zischte: „Sie können Ihre Wut gern loswerden, aber brüllen Sie mich nicht so an. Ihre Schwester kann das überhaupt nicht gebrauchen.“
„Meinst du, ich weiß das nicht?“
Hope hob eine Augenbraue.
„Du hast mir versprochen, auf meine Tochter aufzupassen.“ Wut und Verzweiflung schwangen in seiner Stimme.
„Alle Kinder tun sich manchmal weh. Ich –“
„Alle normalen Kinder. Emmy-Lou kann nicht sehen.“
Er hatte ihr ja schon gesagt, dass sie gehen sollte, deshalb konnte sie ihm jetzt auch ihre Meinung sagen. Hope riss den Kopfkissenbezug von der Wäscheleine. „Sie kann sehen. Nicht so gut wie die anderen Kinder, aber Emmy-Lou kann immer noch sehen. Sie waren es, der über all die Dinge gejammert hat, die sie nicht sehen und tun kann. All die Dinge,
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