Ein schwarzer Vogel
Es
spricht mich innerlich an. Ich empfinde mit, von welchen Intuitionen Sie sich
bei der Schaffung dieses Bildes leiten ließen.«
Sie seufzte. »Ich malte es im
Auftrag eines Werbebüros. Sie wollten ein Bild, das die Lust am Reisen weckt.
Als ich fertig war, änderte der höchste Chef seine Meinung hinsichtlich des
Motivs. Er entschied sich nun für ein Bild im Mondschein, mit einem Mädchen an
einem Geländer und einem Mann im Abendanzug, der sich ihr entgegenneigt. Er
meinte, das sei für seine Zwecke wirkungsvoller.«
»Das Bild ist Ihnen großartig
gelungen. Der Mann muß verrückt sein, wenn es ihn nicht überzeugt hat.«
»Nun, er änderte eben seine
Ansicht. Mein Bild hat er kaum mit einem Blick gewürdigt. Daran lag es wohl.
Der künstlerische Berater, der mir den Auftrag gab, hatte es sich so
vorgestellt, wie ich es gemalt hatte. Er bezeichnete mein Bild als gelungen.
Aber dann kam der maßgebende Mann, sah es kaum an und entschied sich für eine
Szene im Mondschein, die die Romantik des Reisens ausdrückt. Nun ja, so geht es
eben.«
»Und was wollen Sie jetzt damit
machen?« fragte ich.
»Ach, ich werde es eine Weile
behalten. Vielleicht kann ich es irgendwo in einem Kalender unterbringen... Manchmal
werden derartige Bilder dabei berücksichtigt.«
»Wenn Sie mich fragen, ich
finde, es ist eines der schönsten Bilder, die mir je zu Gesicht gekommen sind.
Man sieht so richtig den Widerschein des besonnten Meeres in den blauen Augen
des Mädchens und die Hoffnung und die Lebensfreude und die Sehnsucht nach
Abenteuern und... es liegt alles drin, was jung und sauber und lebendig ist.«
»Sagt es Ihnen wirklich so
viel?« fragte sie.
Ich nickte.
»Das freut mich. Ich wollte das
alles wiedergeben. Ich war nicht ganz sicher, ob es mir gelungen war. Sie
wissen, wie es einem dabei geht. Man versucht etwas in ein Bild zu legen, und
weil man sich solche Mühe gegeben hat, glaubt man auch jedesmal, wenn man es
ansieht, daß es künstlerisch vollendet ist. Aber man ist nie sicher, ob andere
das gleiche sehen und ob man es sich selbst nicht nur einredet.«
»Doch, es ist wirklich alles
drin. Was haben Sie sonst noch gemalt?«
»Ach, das wird Sie kaum
interessieren. Dies ist mein bestes Bild. Von den anderen sind einige ziemlich
scheußlich. Ich bilde mir gern ein, daß ein paar ganz gut sind, aber sie sind
zu unterschiedlich.«
»Wollen Sie mir die nicht auch
einmal zeigen?«
»Gern, aber nur, wenn Sie sie
aus ehrlichem Interesse sehen wollen. Ich würde gern Ihr Urteil hören. Sehen
Sie, ein Künstler will etwas schaffen. Ich weiß nicht genau, was es eigentlich
ist. Ich glaube, er versucht, das Leben zu deuten. Nehmen Sie das Bild von dem
Mädchen auf dem Schiff als Beispiel. Ich gehe davon aus, daß fast jeder Mensch
gern reist. Es ist ein Ausweg, um einmal aus sich selbst herauszukommen und den
Alltagskram abzuschütteln. Aber wenn man reist, begnügt man sich nicht nur
damit, neue, fremde Landschaften zu betrachten. Man versucht auch, über den
Horizont hinauszuschauen. Darum habe ich den Kopf und die Augen des Mädchens
etwas nach oben gerichtet, um den Blick in die Weite... über den Horizont
hinaus anzudeuten.«
Ich nickte verständnisvoll.
»Haben Sie das Bild so
verstanden?«
»Ganz entschieden. Reisen Sie
viel?«
»Natürlich nicht. Ich muß ja
arbeiten. Im Vertrauen gesagt, muß ich mir die Zeit zum Malen absparen. Wenn
dann der Wolf vor der Tür zu heulen anfängt, muß ich mir irgendeine Arbeit
suchen, einen ganz gewöhnlichen Job.«
»Welcher Art?«
»Irgendeinen, von dem ich
ehrlich leben kann. Ich spare, daß ich mir wie ein Geizhals vorkomme. Aber
jeder Dollar, den ich von meinen Ausgaben erübrigen kann, bedeutet, daß ich
länger malen kann. Eines Tages werde ich über den Berg kommen und auch Besseres
leisten können.«
»Macht es Ihnen nichts aus, daß
Sie Ihre Malerei unterbrechen müssen, um zu arbeiten?«
»Doch, schon. Aber ich nehme
mir nicht die Zeit, darüber nachzudenken. Es muß sein, und ich habe
herausgefunden, daß es keinen Zweck hat, sich wegen der Dinge, die sein müssen,
das Leben schwerzumachen.«
»Eigentlich müßten Sie doch von
Ihrer Malerei leben können.«
»Eines Tages werde ich das. Ich
weiß genau, daß gelungene Arbeiten bei mir mehr oder weniger noch
Zufallstreffer sind. Natürlich ist es heute auch schwer, Fuß zu fassen. Wenn
man erst einmal bekannt ist, kann man seine Arbeiten leichter verkaufen und
auch gute Preise erzielen. Fängt man aber
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