Ein schwarzer Vogel
»Guten Tag, Mr. Lam.«
Ihre dunklen Augen blitzten auf, als sie die Mappe und das Bild sahen, das Dona gerade in die Hand genommen hatte.
»Schon wieder bei diesem Unsinn?« fragte sie ungehalten.
Dona lachte und sagte: »Ich plage mich weiter damit, Mutter.«
Mrs. Graftons Antwort war voller Mißachtung: »Damit kann man kein Geld verdienen. Du arbeitest und arbeitest, und was kommt dabei heraus? Nichts!«
Lächelnd überging Dona diese offensichtlich alte Streitfrage.
Mrs. Grafton nahm Platz, blickte mich mißtrauisch prüfend an und sah dann auf Dona. Ihre dunklen, recht gierigen Augen — in ihrer Jugend waren sie gewiß oft als romantisch bezeichnet worden — schienen die Fähigkeit zu haben, alles mit einem Blick zu erfassen.
»Woher hast du das Konfekt?«
»Es kam mit der Post. Ich habe es noch nicht versucht. Der Briefträger brachte es gleich nach dem Frühstück.«
»Du solltest mehr ans Heiraten denken«, sagte die Mutter, nahm den Deckel von der Schachtel ab, betrachtete den Inhalt und wandte sich mir zu.
Jetzt waren ihre Blicke mehr abschätzend als feindselig, und mit einladendem Ton fragte sie: »Möchten Sie eine Praline, Mr. Lam?«
»Nicht so früh am Tage, danke vielmals.«
Mrs. Grafton wählte behutsam, nahm eins und biß hinein. Sie schien etwas sagen zu wollen, überlegte es sich aber und aß den Rest des Konfektstückes, griff nach einem zweiten und sagte schließlich in abfälligem Ton: »Diese Polizei!«
»Was ist denn, Mutter?« fragte Dona, während sie die Mappe zurück in den Wandschrank legte und die Tür sorgfältig abschloß.
»Das sind alles Narren«, sagte Mrs. Grafton und genehmigte sich ein drittes Stück aus der Schachtel. »Hast du meinen Brief bekommen, Dona?«
»Ja.«
»Dann wußtest du also, daß ich komme.«
»Ja.«
Mrs. Grafton blickte mich ziemlich herausfordernd an.
»Nun, ich muß wohl gehen«, sagte ich. »Ich möchte Sie gern einmal Wiedersehen, Miss Grafton, wenn ich darf. Gewissermaßen, um auf dem laufenden zu bleiben.«
»Für welche Zeitung arbeiten Sie?« fragte Dona.
Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht bei der Presse. Es ist etwas anderes. Ich bin...ich interessiere mich für den Fall.«
»Wofür interessieren Sie sich?« fragte Mrs. Grafton.
»Für Krähen«, sagte ich und lächelte.
»Und ich dachte, sie seien Reporter«, sagte Dona.
»Nein, ich bin kein Reporter.«
»Reporter?« rief die Mutter aus. »Hast du nicht mehr Verstand, Dona, als mit jedem dahergelaufenen Reporter zu tratschen? Du bist zu naiv für den Umgang mit diesen Leuten. Du kannst dich nicht mit jedem, der Fragen an dich richtet, unterhalten. Du scheinst nie zu begreifen, wie gefährlich das werden kann.«
»Aber Mutter, er sagte doch eben, daß er gar kein Reporter ist.«
»Nun, was ist er denn?«
»Ich...« Dona brach ab, lächelte mich verwirrt an und sagte: »Würden Sie bitte selbst darauf antworten, Mr. Lam?«
»Ja, sehen Sie, ich interessiere mich für...«, begann ich.
Mrs. Graftons Gesicht verzerrte sich plötzlich. »Dona, was ist mit dem Konfekt?«
»Warum, Mutter, was ist dir denn?«
»Das letzte Stück schmeckte...« Wieder verzerrte sich ihr Gesicht krampfhaft. Ihre Augen quollen vor Wut und Angst: »Du hast mich vergiftet«, schrie sie.
»Mutter, was hast du nur?« fragte Dona ängstlich.
Mrs. Grafton überschüttete sie mit einer Flut spanischer Flüche und Anschuldigungen.
Dona war vor Entsetzen bleich geworden. Dann schrie die Mutter auf englisch: »Und jetzt willst du auch mich töten.«
Sie machte eine schnelle Handbewegung, und als ich etwas blinken sah, ergriff ich blitzschnell ihren Arm, der gerade ausholte, um ein Messer zu werfen. Ich verfehlte zwar ihre Hand, packte sie aber am Arm, und das Messer fiel schwunglos zu Boden.
Noch einmal ließ sie eine spanische Schimpfkanonade los, versuchte ins Badezimmer zu laufen, brach jedoch zusammen und übergab sich.
Ich hatte nicht bemerkt, daß Inspektor Buda hereingekommen war. Ich erinnere mich nur, daß uns jemand half, als das Mädchen und ich versuchten, die Mutter ins Schlafzimmer zu bringen. Ich sah auf und erkannte Sam Buda.
»Was ist denn mit ihr los?« fragte er mich mißtrauisch.
»Sie glaubt, sie sei vergiftet worden.«
Buda sah die Bonbonniere. »Mit dem Konfekt?«
»Ja«, antwortete ich.
»Haben Sie Senf?« fragte er Dona.
»Ja.«
»Machen Sie sofort Senfwasser, aber warm, und flößen Sie ihr soviel wie möglich davon ein. Wo steht Ihr Telefon?«
»Ich habe
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