Ein Sehnen Im Herzen
wie sehr er ihre Antwort gefürchtet hatte. Es gelang ihm jedoch, sich nicht anmerken zu lassen, wie erleichtert er war.
»Entschuldige bitte, Emma«, sagte er. »Aber du musst zugeben, dass die Frage auf der Hand lag. Warum sonst solltest du dich so sehr gegen die Idee sträuben, Richter Reardons Entscheid anzufechten?«
»Das habe ich bereits gesagt«, antwortete Emma. »Verfahren wie dieses können sich jahrelang hinziehen. Und für so lange kann ich Faires nicht verlassen.«
James runzelte die Stirn. »In Gottes Namen, Emma, warum nicht?«
Sie starrte ihn an, als wäre er schwer von Begriff. »Die Kinder«, sagte sie.
»Kinder?«, wiederholte er. Dann fiel ihm sein Gespräch mit Richter Reardon wieder ein, und ihm ging ein Licht auf. »Ach... deine Schüler.«
»Meine Schüler.« Emma marschierte an ihm vorbei und langte nach einem Wollschal, der an einem Haken neben dem Kamin hing. Sie warf sich das Kleidungsstück um die Schultern und drehte sich mit trotzig gerecktem Kinn zu James um. »Ich kann sie nicht verlassen.«
»Aber warum nicht?«, wollte James wissen. »Führst du ein Waisenhaus oder eine Schule? Haben sie keine Eltern?«
»Nicht alle. Etliche von ihnen haben durch die Typhusepidemie ihre nächsten Angehörigen verloren. Die Schule - meine Schule - ist der einzige Platz auf der Insel, wo sich viele von ihnen geliebt fühlen... und geborgen. Ich kann mich nicht einfach nach London davonmachen und meine Zeit vor Gericht verschwenden, um Geld einzufordern, das ich weder will noch verdient habe, wenn ich woanders gebraucht werde - dringend gebraucht.«
»Ja, aber Emma!« James bemerkte die Veränderung in ihrer Stimme, verstand sie aber nicht. »Emma, es ist nicht deine Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Dorfkinder Lesen und Schreiben lernen.«
»Ach, ist es nicht?« Emma zupfte ihren Schal zurecht und zog den Wollstoff enger um den Spitzenkragen ihres Kleides. »Wessen dann?«
»Das weiß ich nicht«, gestand James. »Die des Pfarrers, denke ich. Überlass die Sache ihm.« James, der den Pfarrer kennen gelernt hatte, bezweifelte stark, ob ihm sonderlich viel an dem geistigen Wohlergehen seiner weniger glücklichen Mitmenschen lag. Das wäre Aufgabe seines Kaplans gewesen ... wenn er noch einen gehabt hätte, wohlgemerkt. Reverend Peck schien es noch nicht gelungen zu sein, einen neuen Hilfsgeistlichen vom Festland auf die Insel zu locken, und die Nachricht, was mit dem letzten geschehen war, musste sich mittlerweile zu sämtlichen Priesterseminaren im Land durchgesprochen haben.
»Es ist nicht deine Angelegenheit, Emma«, sagte James fest. »Du solltest dich da nicht hineinziehen lassen.«
»Das sieht dir wieder ähnlich.« Ihre Stimme war voller Bitterkeit. »Nichts ist jemals deine Angelegenheit, nicht wahr, Lord Denham? Du hast dich noch nie um Menschen geschert, die das Pech hatten, in Armut geboren zu werden. Obwohl du alles Geld der Welt hast, mehr, als du vermutlich in deinem ganzen Leben brauchen wirst, und ich mir wirklich nicht vorstellen kann, wer mehr für sie tun könnte.«
James stieß einen müden Seufzer aus. Dass der Abend sich so entwickeln würde, hatte er nicht unbedingt beabsichtigt. Oh, er hatte erwartet, dass Emma sich sträuben würde, über ihre ausgefallene Situation zu sprechen, aber er hatte gehofft, ihr Gespräch würde sich nicht, wie es jetzt aussah, zu einer ihrer üblichen alten Auseinandersetzungen entwickeln.
James warf ihr im Zwielicht des Kaminfeuers einen finsteren Blick zu. Nicht zu fassen, dass eine so liebliche junge Frau ein derart aufreizendes Benehmen an den Tag legen konnte, denn trotz der körperlichen Strapazen, die sie im vergangenen Jahr durchgemacht hatte, war Emma Van Court Chesterton immer noch bildschön. Tatsächlich gab es in James' Bekanntenkreis in London keine Frau, die Emma nicht um ihre prächtigen Haare und Augen beneidet hätte, aber jetzt war es vor allem ihre Persönlichkeit, die Bewunderung hervorrufen würde. War es, fragte er sich, leicht betroffen über seine Sentimentalität, aber dennoch außerstande, diesen neuen Gedanken zu unterdrücken, eine Art inneres Leuchten, das von ihr ausging?
O Gott, er musste Schottland möglichst schnell verlassen. Er wurde abstoßend romantisch.
»Na schön, Emma«, sagte er schließlich und verschränkte die Arme vor der Brust. Er wählte seine Worte sorgfältig, da ihm bewusst war, dass sie ihn ebenso argwöhnisch musterte wie die Katze, die er in den Winkeln des Häuschens hin und
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