Ein sehr privater Verführer (Baccara) (German Edition)
Schritte. Jemand fluchte. Es war unmöglich, einem Wolf zu entkommen.
Gareth durchbrach ein Rhododendron-Dickicht und wurde aschfahl, als er Gracie sah. „Verdammt, es tut mir leid, Gracie.“ Als er sich neben sie kniete, sah er ihren geschwollenen blutenden Fuß. „Oh, mein Gott!“
Ihr Zustand war ihr peinlich. „Ich habe nicht nachgedacht. Und jetzt denkst du bestimmt: was für eine blöde Kuh.“
„Unsinn“, erwiderte er, hob sie hoch, als sei sie eine Feder, und trug sie den Berg hinauf. „Ich denke: Was bin ich bloß für ein Mistkerl.“
Diesmal wurden sie von Jacob nicht so entspannt empfangen wie beim letzten Mal. Er warf Gareth einen vernichtenden Blick zu. „Du solltest dich schämen.“
Gareth hielt Gracie an seine breite Brust gepresst. „Keine Belehrungen, Jacob. Bitte kümmere dich um sie.“
Er kann tatsächlich bitte sagen, dachte Gracie. Sie zupfte ihn am Ärmel. „Lass mich runter. Es ist alles okay.“ Sie hatte keine Lust, Streitobjekt der Brüder zu sein.
Doch Gareth trug sie einfach hinüber ins Untersuchungszimmer, setzte sie auf die Liege und strich ihr übers Haar. „Soll ich hierbleiben?“
Ehe sie antworten konnte, wies Jacob zur Tür. „Nein. Wir brauchen dich hier nicht.“
Nach einem Moment drehte sich Gareth tatsächlich um und verließ den Raum.
Jacob sah Gracie prüfend an. „Alles in Ordnung?“
Sie schluckte die Tränen hinunter. „Ich … ich habe etwas ganz Dummes angestellt. Gareth trägt keine Schuld.“
„Erzählen Sie mir nichts“, gab er zurück. „Ich kenne meinen Bruder. Jetzt werde ich Sie erst mal untersuchen.“
Selbst die leiseste Berührung seiner Finger tat entsetzlich weh. Das Fußgelenk sah furchtbar aus, aber das Röntgenbild bewies, dass nichts gebrochen war. Jacob reinigte die Wunden, dann bandagierte er Fuß und Unterschenkel. Als er fertig war, sagte er: „Sie dürfen kurze Distanzen laufen, aber Sie sollten im Laufe des Tages immer wieder Eispackungen machen und den Fuß so oft wie möglich hochlegen, damit die Schwellung zurückgeht.“ Zuletzt zog er ihr noch Baumwollsocken an.
Dann setzte er sich auf einen Bürostuhl und verschränkte die Arme vor der Brust. In diesem Moment sah er seinem Bruder sehr ähnlich. „Ich möchte Sie nach Hause bringen, Gracie.“
„Das geht nicht“, flüsterte sie. „Mein Vater ist in Europa und das Haus wird umgebaut. Die Leute, die in meinem Telefonverzeichnis stehen, kenne ich nicht. Wenn ich jemanden anrufe und erzähle, was mir passiert ist, hält man mich doch für verrückt. Außerdem hat Gareth …“
„Erhoffen Sie sich nichts von Gareth. Er traut niemandem, und Liebe ist für ihn ein Fremdwort. Er war der einzige von uns, der damals alt genug war, um die Tragödie zu begreifen.“
Sie nickte traurig. „Es wird mir ganz übel, wenn ich daran denke.“
„Gareth hat alles hautnah mitbekommen. Den Verlust, dann den Medienrummel. Kieran und ich waren erst vier und fünf.“
„Aber Sie haben doch auch erfahren, dass Ihre Mutter nicht mehr kommt.“
„Na ja, es gab das übliche Märchen, dass sie jetzt im Himmel ist und uns lieb hat. Ich erinnere mich an ein paar schlimme Träume und das Gefühl, verlassen zu sein. Aber Kinder sind stärker, als man denkt. Ich habe es verkraftet. Gareth nicht.“
„Er leidet immer noch, Jacob. Ganz furchtbar.“
„Ich weiß. Und wenn Sie nicht aufpassen, wird sein Schmerz Ihnen sehr weh tun.“
„Wenn er will, kann er sehr liebevoll und fürsorglich sein.“
„Trotzdem sollten Sie nicht mit ihm nach Washington fahren, Gracie. Verlieben Sie sich nicht in ihn.“
„Das habe ich auch nicht vor“, erwiderte sie. „Mich in ihn zu verlieben, meine ich. Es würde ja auch gar nichts bringen?“
Jacob stand auf und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Sie müssen stark sein, kleine Gracie. Versuchen Sie, sich zu erinnern. Das Leben liegt noch vor Ihnen. Ich mag meinen Bruder sehr. Aber auch wenn er sich ein Märchenschloss gebaut hat, er ist kein Märchenprinz.“
Er küsste sie auf die Wange, und just in diesem Moment trat Gareth ein.
Als er den zornigen Blick seines Bruders auffing, hob Jacob lächelnd die Hand. „Als Arzt habe ich ein paar Privilegien.“
Gareth ignorierte ihn, ging zu Gracie und streichelte ihr Haar. „Hat Jacob dich verarztet?“
Sie nickte. „Ich könnte mich daran gewöhnen, meinen ganz persönlichen Doktor um die Ecke zu haben“, bemerkte sie, doch ihr Scherz verpuffte.
Schwungvoll hob Gareth sie hoch.
Weitere Kostenlose Bücher