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Ein seltsamer Ort zum Sterben

Ein seltsamer Ort zum Sterben

Titel: Ein seltsamer Ort zum Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derek B. Miller
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Gott sich für das entschuldigt, was er deinem Vater angetan hat. Aber er hat es nicht getan.»

18. Kapitel
    Es war eine schöne Nacht. Sie fanden ein trockenes, abgelegenes Fleckchen ein Stück vom Ufer entfernt und außer Sichtweite der Straße und der nahegelegenen Häuser. Ein Feuerchen zu machen hielt Sheldon immer noch für zu riskant. Das war schade, aber sie kamen auch so klar.
    Paul ließ sich dazu überreden, die Hörner abzunehmen, doch das ungewöhnlichste Kreuzfahrer-Outfit der Welt wollte er partout nicht ablegen. Aber nach all den Verrücktheiten des Tages erschien das Sheldon als eine geradezu normale Marotte.
    «Weck mich, wenn du irgendein verdächtiges Geräusch hörst», flüsterte er dem Jungen zu, als sie dicht nebeneinanderlagen. Dann fielen beide in einen herrlichen, erholsamen Schlaf.
    Um sechs Uhr morgens stand die Sonne so hoch am Himmel, dass ihre Wärme sie wach kitzelte. Die frische Luft war vermutlich für beide eine Wohltat, aber der Boden hatte es mit Sheldon nicht gut gemeint. Er war steif, hatte Schmerzen und war brummelig. Es kam ihm vor, als wollte sein Körper schon mal die Totenstarre testen. Und was noch schlimmer war: Nirgendwo gab es auch nur ein Tröpfchen Kaffee.
    Es dauerte nicht lange, bis sie ihr Lager abgebrochen hatten, viel gab es ja nicht aufzusammeln, und sie hatten kaum Fußspuren im Wald hinterlassen. Schließlich wurden sie ja auch nicht verfolgt, und da sie die Nacht überstanden hatten, ohne von Suchscheinwerfern aufgeschreckt zu werden, hatte vermutlich auch niemand die letzten Augenblicke im Leben des Traktors mitbekommen.
    Binnen einer Stunde haben sie sich durch das dichte Unterholz zu einer ziemlich breiten Straße durchgeschlagen, auf der hoffentlich bald ein paar Fahrzeuge vorbeikommen werden. Nach ungefähr zwanzig Minuten Marsch über den Asphalt fühlt Sheldon sich völlig erschöpft.
    «Halt mal eben, wart mal ’ne Sekunde. Ich brauch ’ne kurze Pause.» Sheldon lässt sich vorsichtig ins hohe Gras am Straßenrand sinken. Paul, der vorausgegangen ist, kommt wieder zu ihm zurück.
    «Werd bloß nicht alt», sagt er zu Paul. «Wenn du Peter Pan begegnest, schließ dich ihm an.»
    Paul steht mit seinem hölzernen Kochlöffel, dem Haarball und der Wollmütze vor ihm. Er sieht gut aus. So, wie kleine Jungs aussehen sollen.
    Sheldon sieht auf die Uhr. Sie hat weiße Zeiger und beharrt darauf, dass es erst acht Uhr morgens ist.
    «Komm her», sagt Sheldon.
    Er winkt ihn zu sich, und der Junge folgt ihm. «Mach mal so.» Sheldon streckt den Daumen raus, wie es Anhalter tun.
    Paul versteht es nicht ganz, und sein Daumen zeigt eher nach Deutschland, zusammen mit dem ausgestreckten Zeigefinger. «Du musst ihn mehr … Richtung Finnland halten. So.» Er nimmt Pauls Hand, optimiert das Finger-Arrangement und richtet das Ganze seitlich zum Straßenrand aus. «Gut. Hoffen wir mal, dass das in diesem Land nicht als obszöne Geste gilt.»
    Paul steht ein paar Minuten da und blickt die Straße hinab, doch nichts passiert. In der Zwischenzeit kommt Sheldon wieder zu Atem und richtet sich auf. Er geht hinüber zu Paul und sagt: «So, und jetzt gehen wir rückwärts. Wenn wir Glück haben, gehen wir auch rückwärts in der Zeit, noch hinter gestern und vorgestern. Bevor du geboren wurdest, den ganzen Weg bis mindestens 1952 , als Saul geboren wurde.
    Wir könnten 1977 eine Mittagspause einlegen. 1977 , da kenne ich einen ausgezeichneten Sandwichladen!»
    Sie legen etliche Kilometer auf einer Straße zurück, die sich nach Norden windet. Es gibt hier nur wenige Hinweise auf die Zivilisation außer dem perfekten Asphaltband, das sich neben dem grünen Grasstreifen am Waldrand entlangschlängelt.
    Sheldon hat zwei Stifte zwischen die Lippen gesteckt, er sei ein Walross, behauptet er. Um Paul aufzuheitern, watschelt er auch wie eines. Kurz darauf bleibt er jedoch stehen.
    «Großes Walross hat Durst. Kleines Walross auch? Großes Walross muss außerdem pinkeln. Großes Walross zweiundachtzig Jahre alt, Blase groß wie Limabohne.»
    Sheldon macht die weltweit verständliche Geste eines Mannes, der ein Bier zischt.
    Paul begreift intuitiv und nickt. Ja, auch er wäre gern wie ein alter Mann, der ein Bier zischt.
    «Schön. Dann sollten wir jetzt mal eine Mitfahrgelegenheit auftun. Genug rumgealbert! Hör zu, wir machen Folgendes. Ich zähle von zehn abwärts, und wenn ich fertig bin, kommt hier ein Auto vorbei und bringt uns an einen Ort, wo es eiskalte Cola gibt,

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