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Ein seltsamer Ort zum Sterben

Ein seltsamer Ort zum Sterben

Titel: Ein seltsamer Ort zum Sterben
Autoren: Derek B. Miller
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einiger Leute, die wir gewählt haben, die wir nicht loswerden, nicht erziehen, nicht zur Verantwortung ziehen, die eine Wohlfühlpolitik machen, die uns so lange alle Probleme an Deck spült, bis wir sinken. Und wer muss die Suppe auslöffeln? Wir. Die Polizei. Willst du wissen, was schiefläuft in Norwegen? Frag uns. Wir können es dir sagen.»
    «Exzellente Analyse. Können wir jetzt bitte mal das Kästchen öffnen?»
    Sigrid hält den Schlüssel in die Höhe und führt ihn dann zu dem Schloss.
    «Er ist furchtbar klein.»
    «Ich mach das.»
    Petter nimmt ihr den Schlüssel ab und dreht das Kästchen zu sich. Er steckt ihn ins Schloss, schaut Sigrid an und dreht ihn dann.
    Es öffnet sich.
    «So, dann wollen wir mal sehen.»
    Petter klappt den Deckel hoch und schaut hinein.
    «Was ist das?», fragt er.
    Sigrid ist nicht sicher.
    Sie zieht ihre Schreibtischschublade heraus und streift ein paar Latexhandschuhe über. Dann nimmt sie den Inhalt aus dem Schmuckkästchen.
    «Briefe und Fotos.»
    «Wovon?»
    Sie weiß es nicht. Die Briefe sind in einer fremden Sprache. Serbokroatisch vielleicht – als das noch eine gemeinsame Sprache war. Vielleicht auch Albanisch. Die Fotos zeigen ein Dorf. Oder das, was davon übrig geblieben ist.
    Sie sind sorgfältig geordnet. Auf jedem Foto liegt ein kleiner Zettel mit dem Namen der Person, einem Ort und weiteren Informationen, die sie nicht deuten kann. Das obere Foto zeigt die Person in einer alltäglichen Situation. Am Tisch, jemandem zuwinkend. Im Auto, mit Einkaufstüten. Beim Hochheben eines Kindes. Beim Zusammenrechen von Blättern. Alles typische Szenen, wie sie auf 35 -mm-Film gebannt und normalerweise in Alben geklebt werden, damit wir uns erinnern, wer wir und unsere Lieben einmal waren.
    Unter jedem dieser Fotos ist eins, auf dem die jeweilige Person ermordet zu sehen ist.
    Die Bilder sind entsetzlich. Einige Menschen wurden erschossen. Andere aufgeschlitzt. Oder ihnen wurde die Kehle durchgeschnitten. Kindern hat man in den Hinterkopf geschossen. Einige wurden von vorn erschossen. Kinder, noch zu jung, um Angst vor ihren Mördern zu haben.
    Sigrid hält das Zeugnis eines Massakers in Händen, das jemand mutig dokumentiert und versteckt hat. Und möglicherweise hat dieser Jemand das mit dem Leben bezahlt.
    «Wir müssen Interpol, Europol, das Außenministerium und das Justiz- und das Polizeiministerium kontaktieren. Wir müssen das augenblicklich abfotografieren, damit es von allem eine Kopie gibt. So langsam verstehe ich, was da passiert ist», sagt sie. «Wir müssen alle zusammentrommeln. Ich möchte gebrieft werden, was gestern in Oslo und Umgebung passiert ist. Alles, was irgendwie ungewöhnlich ist. Wir müssen diese Leute unbedingt finden.»
    Als sie wieder alle im Kreis sitzen, nippt Sigrid an einer Tasse Kaffee, entgegen den Anweisungen ihres Arztes, der Kaffee für dehydrierend und damit schädlich hält.
    Offensichtlich hat er unrecht.
    «Ich will alles wissen», sagt sie. «Jede Kleinigkeit. Hat sich jemand gemeldet?»
    Ein paar Anrufe – häusliche Gewalt, Betrunkene, ein Vergewaltigungsversuch. Nichts, was wirklich etwas mit der Sache zu tun zu haben scheint.
    «Ihr wollt mir also weismachen, dass wir keinen Anruf bezüglich eines Amerikaners bekommen haben, der in Begleitung eines kleinen Jungen vom Balkan unterwegs ist. Wir haben eine eindeutige Beschreibung rausgegeben. Ich will nur sichergehen, dass ich das richtig verstanden habe.
    Schön. Dann hängt euch mal ans Telefon. Wenn die Information nicht zu uns kommt, müssen wir sie uns eben holen.»
    Als Sigrid wieder in ihrem Büro ist, kommt ein Polizist mit einer jungen Frau in Zivil herein.
    «Inspektor, ich glaube, Sie sollten sich das hier anhören», sagt der Beamte.
    «Was anhören?»
    «Inspektor Ødegård? Mein Name ist Adrijana Rasmussen.» Sie zögert und fügt dann hinzu: «Aber ursprünglich heiße ich Adriana Stojkovi. Ich wurde in Serbien geboren. Ein paar ganz miese Typen suchen nach einem kleinen Jungen und einem alten Mann. Ich glaube, die beiden sind in ernsten Schwierigkeiten.»
    Adrijana spricht Norwegisch mit einem Upper-Class-, West-End-Akzent. Alles an ihr, abgesehen von ihren slawischen Gesichtszügen, wirkt original norwegisch. Sie ist stilbewusst gekleidet, aber mit einem leichten Understatement, das andere Frauen davon abhält, eifersüchtig auf ihr Aussehen zu werden. Ihr Haar ist sorgfältig frisiert, um natürlich zu wirken. Sie hat nicht das betont Modisch-Rebellische
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