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Ein seltsamer Ort zum Sterben

Ein seltsamer Ort zum Sterben

Titel: Ein seltsamer Ort zum Sterben
Autoren: Derek B. Miller
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Fotos in der Hand und vergleicht sie mit dem Jungen. Der Junge bemerkt, dass der Mann in dem kleinen Auto ihn ansieht und starrt zurück. Es gibt kein Zeichen des Erkennens. Sie sind einander nie begegnet.
    Auf der Stelle wird dem Schwarzen klar, dass sich durch ihre zufällige Begegnung der Plan ändert. Die Figuren auf dem Schachbrett stehen plötzlich ganz anders. Der Überfall auf das Sommerhaus hätte einem einzigen Zweck gedient: den Jungen zu finden. Jetzt, wo der Junge gefunden wurde, ist das nicht mehr notwendig.
    Sein Gesicht bleibt vollkommen regungslos bei diesen Überlegungen.
    Schließlich zückt er sein Handy und ruft Enver an. Er weiß, dass die Verbindungen zurückverfolgt werden können, deshalb benutzt er nur Prepaid-Karten. Er weiß, dass sein eigenes Telefon seine Koordinaten verraten und von der Polizei sogar als Mikrophon benutzt werden kann, es ist nämlich technisch möglich, das Telefon zu aktivieren, ohne dass er es bemerkt – weshalb er die Karten jedes Mal, nachdem er mit Enver telefoniert hat, wegwirft.
    Das Telefon klingelt.
    «Was ist los?», fragt Enver.
    «Ich habe den Jungen gefunden.»
    Kurze Zeit herrscht Stille.
    «Hast du ihn?»
    «Nein. Aber bald.»
    «Was ist mit dem alten Mann?»
    «Ich sehe keinen alten Mann.»
    «Wer ist bei dem Jungen? Die Polizei?»
    «Nein. Irgendwelche Urlauber. Jäger. Vielleicht auch Angler.»
    «Schnapp dir den Jungen.»
    «Soll ich ihn zu dem Haus bringen?»
    Enver seufzt leise ins Telefon. Wenn dieser Anruf doch gestern gekommen wäre, hätte die Antwort «Nein» gelautet. Enver, Gjon und Burim wären mit ihren Autos zu irgendeinem Ort gefahren, um dort den Schwarzen zu treffen und die Wagen zu tauschen, und dann hätte Enver auf einer unbewachten Nebenstraße, auf der norwegische Schwarzhändler Alkohol und Zigaretten verkaufen, zur schwedischen Grenze fahren können.
    Doch gestern Abend gab es keinen solchen Anruf. Er kommt erst jetzt.
    «Ja. Es wurde schon das Nötige in die Wege geleitet. Bring ihn hierher. Und vergiss die Waffen nicht. Es wird nicht lang dauern.»
    Es sind fünf Männer und dazu der Junge. Die Männer sind alle Ende zwanzig, Anfang dreißig. Er sieht, wie sie mit Lebensmitteln aus dem Supermarkt kommen. Jeder hat eine Tragetasche, der Junge geht ein kleines Stück hinter ihnen. Was für ein seltsames Kind, dieser Sohn von Enver. Es hieß, er lebe bei seiner Mutter und die sei seltsam drauf – eine plapperhafte Lügnerin, die für die Miete wohl auch auf den Strich ging. Allerdings tat sie das alles nur für ihren Sohn. Schwer zu sagen, warum Enver mit einem Mal beschloss, den Jungen außer Landes zu bringen. Doch die Gründe, die Leute zu ihrem Tun motivierten, interessierten den Schwarzen schon lange nicht mehr.
    Hier ist er nun und folgt schweigend einer Gruppe von Männern, über die er gar nichts weiß. Warum ist der Junge ohne den Alten hier? Ihm fällt keine Erklärung ein. Der alte Mann muss noch drinnen sein, vielleicht kauft er etwas oder pinkelt gerade. Das tun alte Männer doch ständig. Er beschließt zu warten, bis der Rentner herauskommt.
    Doch er kommt nicht. Stattdessen steigen alle fünf Männer und der Junge in den Pick-up und lassen den Motor an. Dann fahren sie los.
    Der Schwarze folgt dem Wagen von der Esso-Tankstelle zu einer Nebenstraße. Sie ist asphaltiert und ruhig. Es sind Autos unterwegs, aber nur wenige. Umso besser für ihn.
    Die Bewaldung hier am Stadtrand wird spärlicher. Braune und gelbe Gräser stehen am Straßenrand und wuchern in alten Schlaglöchern und Rissen. Das Wetter ist schön. Die Straßenoberfläche ist trocken.
    Der Schwarze schaltet in den dritten Gang und überholt den Pick-up. Der Fahrer schaut ihn an, als die beiden Wagen einen Augenblick lang gleichauf sind. Dann ist der Moment vorbei. Als der Fiat fünf Autolängen vor dem Pick-up ist, tritt der Schwarze abrupt auf die Bremse und wirbelt das Heck des Wagens mit der Handbremse herum.
    Der Pick-up bremst ebenfalls abrupt und kommt ganz knapp vor dem Fiat mit quietschenden Reifen zum Stehen. Der Schwarze öffnet die Tür. Die Fahrerseite ist die dem Pick-up abgewandte Seite. Er steigt aus und schaut über das silberne, rostige Dach seines Wagens zum Pick-up hinüber. Mit einer präzisen Geste, wie um keine Zeit zu verschwenden, entsichert er die Winchester und zielt auf den Fahrer.
    Der Junge ist nicht im Führerhaus. Er sitzt mit drei Männern auf der Ladefläche. Der Schwarze hat sie beobachtet, als er hinter ihnen
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