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Ein seltsamer Ort zum Sterben

Ein seltsamer Ort zum Sterben

Titel: Ein seltsamer Ort zum Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derek B. Miller
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Jungen eigentlich kaufen?»
    «Kaufen Sie dem Jungen eine Uhr. Dann wird er sich immer erinnern. An das Weihnachten und an Sie. Die Zeit ist gegen uns alte Männer. Da können wir ihr auch zuarbeiten.»
    «Das ist eine gute Idee. Eine sehr gute Idee!»
    Sheldon fragt: «Bin ich zu schnell gefahren?»
    Der Beamte lächelt. «Nein, nicht zu schnell. Einen schönen Tag!»
    «Danke. Ihnen auch!»
    Als der Volvo davonfährt, legt Sheldon den Gang ein.
    «Gut festhalten da hinten!», ruft er. «Wir suchen uns jetzt mal ein schönes Schlafplätzchen. Und wir müssen dieses Ungetüm hier loswerden!»

    Saul kehrte von seinem ersten Einsatz in einem Pan-Am-Jet aus Saigon nach San Francisco zurück. Er war dreiundzwanzig Jahre alt. Achtzehn Stunden bevor er das Flugzeug in Zivilkleidung bestieg – einen Roman von Arthur C. Clarke in der Jackentasche –, hatte er einen Vietcong mit seiner M- 16 in den Bauch geschossen. Der Mann gehörte zu einem Trupp von drei Männern – alle in Schwarz gekleidet – und war gerade dabei, einen Minenwerfer zu installieren. Saul hatte den Motor an seinem Boot ausgeschaltet, sie trieben dahin. Der Mönch sah sie als Erster und wies mit dem Kopf in ihre Richtung. Saul war kein Scharfschütze wie sein Vater, aber er war der Erste, der die Silhouetten der Männer deutlich zwischen den Schatten der Bäume und dem von oben einfallenden Licht ausmachte. Er feuerte drei Salven ab, und eine davon traf den Unbekannten in den Bauch. Die anderen Männer stoben davon. Danach gingen seine Männer an Land und packten den Minenwerfer ein. Sie fanden den Vietcong, den Saul erschossen hatte. Er bekam eine Kugel in den Kopf gejagt, aus nächster Nähe.
    Das Boot tuckerte zurück zu seinem Ausgangspunkt. Es gab eine kleine Abschiedszeremonie für Saul mit Bier, Rockmusik und schmutzigen Witzen. Nachdem er Uniform und Gewehr zurückgegeben und einen Haufen Dokumente ausgefüllt hatte, schlüpfte er wieder in die Klamotten, in denen er nach Vietnam gekommen war, und wurde mit dem Bus zum Flughafen gebracht und nach Amerika befördert.
    Oder in eine Art Amerika.
    Er las während des Flugs und kämpfte gegen den Schlaf an. Er konnte keinen friedlichen Schlaf erwarten, denn er hatte zwei Jahre lang keinen friedvollen Schlaf gefunden. Zu oft hatte er Albträume von Dingen gehabt, die er gesehen und die er getan hatte. Er litt darunter, wie sein Verstand unermüdlich versuchte, einen Sinn in all dem zu finden. Das Brummen in der Kabine war verführerisch und lullte Saul in eine Träumerei – ein gefährlicher Ort. Denn Träumereien sind das Land, in dem Ungeheuer leben.
    Im Flugzeug beobachtete er die anderen Männer, wie sie Wodka und Cognac in sich reinkippten, die man gratis an sie ausgab. Er überlegte mitzutrinken, doch seine jüdische DNA machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Der Alkohol würde ihn nur schläfrig machen, ohne ihm Erleichterung zu verschaffen.
    Auf der Suche nach einem Gesprächspartner blickte Saul zu einem Mann auf der anderen Seite des Ganges hinüber. Er hatte einen muskulösen Oberkörper und einen dicken Hals, trug eine lange graue Hose und ein verknittertes blaues Hemd, das vor dem Einsteigen in den Flieger definitiv nicht gebügelt worden war. Vor ihm standen drei winzige Flaschen Gin, zu lesen hatte er nichts dabei. Er spürte, dass Saul ihn ansah, und schaute zurück. Ihre Blicke trafen sich kurz, doch dann sah er weg.
    Das Amerika, in dem er landete, war das San Francisco von 1973 , voll Farben und Musik, gemischtrassiger Paare und aufgedonnerter Schwuler. Niemand spuckte ihm vor die Füße oder nannte ihn einen Kindermörder. Doch als er mit seinem Bürstenhaarschnitt und dem Seesack an den Leuten vorbeiging und sie mit ihren langen Haaren und verspiegelten Sonnenbrillen wiederum an ihm vorbeigingen, schauten sie sich gegenseitig an, als wäre der jeweils andere ein exotisches Tier, so fremd und unbekannt wie ein Alien.
    Eine einzige Erfahrung konnte er damit in Verbindung bringen, die Landung in Vietnam zwei Jahre zuvor. Er hatte die wild zusammengewürfelten Amerikaner im Ausbildungslager gesehen, doch das hatte ihn nicht auf die Schichten, Strukturen und Verwirrungen vorbereitet, die ihn in Vietnam erwarteten. Auf die ineinander verwobenen Geschichten und Motive, Launen und Erinnerungen all dieser Leute.
    Die Navy war ihm ein Rätsel. Saigon war ihm ein Rätsel. Er verstand die schweigsamen Ladenbesitzer so wenig wie die tückischen Vietcong. Die Kommunisten und ihre

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