Ein sicheres Haus
allem, in der Tat. Trotzdem kam mir die Idee, ein oder zwei Jahre frei zu nehmen und durch Lateinamerika zu reisen, nur ich und Elsie. Es gab da allerdings ein paar praktische Hindernisse: meine Station sollte in Kürze eröffnet werden, ich hatte kein Geld, ich sprach kein Wort Spanisch. Aber Kinder sind sprachbegabt. Elsie würde es bald lernen, und sie könnte meine Dolmetscherin sein.
Peru. Alle sagten, es sei schön. Ich blätterte in dem Buch, bis ich in dem Teil über Peru an einen Abschnitt mit der Überschrift
»Probleme« kam: »In den urbanen Zentren Perus ist Vorsicht geboten. Touristen werden häufig ausgeraubt –
Taschendiebstähle, weggerissene Taschen und das Aufschneiden von Rucksäcken oder Taschen sind eine lokale Spezialität. Es gibt Trickdiebe, und unter der Polizei ist Korruption verbreitet.« Ich knurrte wieder. Damit konnten Elsie und ich fertig werden. Wo war Finn noch gewesen? Irgend etwas mit »Mich« oder so. Ich schaute mir das Register an.
Machu Picchu. Das war es. Ich schlug die Seite auf: »Die berühmteste und vollendetste archäologische Sehenswürdigkeit Südamerikas.« Ich könnte mir ein Jahr frei nehmen, und wir würden herumreisen, und dann würden wir rechtzeitig zu Elsies Schulbeginn zurückkehren, und sie hätte den Vorteil, fließend Spanisch zu sprechen. Meine Augen überflogen die Seite, bis ich bei ein paar vertrauten Worten hängenblieb: »Wenn Sie das Glück haben, bei Vollmond in der Gegend zu sein, besuchen Sie Machu Picchu bei Nacht. (7 US-Dollar für ein boleto nocturno.) Besichtigen Sie auch Intihuatana – den einzigen Steinkalender, der nicht von den Spaniern zerstört wurde –, und denken Sie über Lichteffekte und die Schicksale von Reichen nach. Das Reich der Inka ist untergegangen. Das spanische Imperium ist untergegangen. Alles, was bleibt, sind die Ruinen, die Bruchstücke. Und das Licht.«
Da war sie, Finns große transzendentale Erfahrung, geklaut aus einem billigen kleinen Reiseführer. Ich erinnerte mich an Finns leuchtende Augen und das Zittern in ihrer Stimme, als sie es mir beschrieben hatte. Ich empfand es wie mein endgültiges Versagen. In einer Ecke meiner Psyche lauerte noch immer diese kleine Eitelkeit, die hoffte, ich hätte bei Finn irgend etwas erreicht, sie hätte mich trotz der Gemeinheit und Täuschung ein bißchen gern gehabt, genau wie sie Elsies Liebe gewonnen hatte. Nun wußte ich, daß sie sich sogar da, wo es um nichts ging, keine Mühe gegeben hatte, mir etwas Echtes anzubieten.
Es war alles falsch, alles.
31. KAPITEL
»Hast du daran gedacht, nach allem, was passiert ist, zu jemandem zu gehen? Ich meine, du weißt …«
Sarah saß an meinem Küchentisch und machte Sandwiches.
Sie hatte Streichkäse, Schinken, Tomaten und Avocados mitgebracht, richtiges Essen, und verteilte dies jetzt auf dicken Weißbrotscheiben. Sie war einer der wenigen Menschen, die ich in meiner Nähe ertragen konnte. Sie war offen und sprach über Gefühle so objektiv, als sei sie eine Mathematikerin, die sich mit einem Rechenproblem befaßt. Jetzt schien die Sonne durch die Fenster, und wir hatten den Nachmittag für uns, bevor Elsie aus der Schule kam und Sarah nach London zurückfuhr.
»Du meinst«, ich trank einen Schluck Bier, »ob ich jemanden konsultiere, der auf Traumata spezialisiert ist?«
»Ich meine«, sagte Sarah ruhig, »daß es schwer sein muß, über das wegzukommen, was passiert ist.«
Ich starrte auf das krumme metallene Auge der Bierdose.
»Das Problem ist«, sagte ich schließlich, »daß es aus so vielen Teilen besteht. Wut. Schuld, Verwirrung. Trauer.«
»Mmm, natürlich. Fehlt er dir sehr?«
Ich träumte oft von Danny. Gewöhnlich waren es glückliche Träume, nicht, ihn zu verlieren, sondern, ihn wiederzufinden. In einem stand ich an einer Bushaltestelle und sah ihn auf mich zukommen; er breitete die Arme aus, und ich flog hinein und fühlte mich, als käme ich nach Hause. Es war so körperlich –
sein Herzschlag an meinem, die warme Höhlung seines Halses –
, daß ich mich, als ich erwachte, in dem riesigen Bett zu ihm umdrehte. In einem anderen Traum sprach ich mit jemandem, den ich nicht kannte, über seinen Tod, und ich weinte, und auf einmal wurde das Gesicht des Fremden zu dem von Danny, und er lächelte mich an. Ich erwachte, und Tränen liefen über mein Gesicht.
Jeden Morgen verlor ich ihn von neuem. Mein Körper verlangte schmerzlich nach ihm, nicht so sehr aus Begehren, sondern aus Einsamkeit. Mein
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