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Ein sicheres Haus

Titel: Ein sicheres Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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sein mußte, weil es das Risiko erhöhte, daß Michael Daley gefaßt wurde. Sie hätte anderswo sein können, mit einem perfekten Alibi, und es wäre nicht nötig gewesen, ihr den Hals aufzuschlitzen und dann die lange, detaillierte, gefährliche Scharade aufzuführen, die mich und Elsie und den armen Danny und die arme, traurige Mrs. Ferrer in die Falle lockte, falls sie in die Tat einbezogen gewesen war. Und warum hatte Finn ihr Testament so plötzlich geändert und alles dem Mann vermacht, der sie ermorden würde? Hatte sie am Ende doch Selbstmord begangen? Hatte Michael sie umgebracht, weil er plötzlich entschieden hatte, daß ihm die Hälfte nicht genug war? Keine Version schien viel Sinn zu ergeben. Ich versuchte, ein Szenario zu konstruieren, in dem Michael die Eltern tötete und Finn zur Komplizenschaft zwang, indem er ihr mit Mord drohte – aber in meinem Kopf funktionierte das alles nicht richtig.

    An diesem Nachmittag arbeitete ich nicht mehr. Ich ging in Wind und Regen spazieren, bis ich auf meiner Uhr sah, daß ich nach Hause rennen mußte, um Elsie in Empfang zu nehmen. Ich war außer Atem, als ich die Einfahrt entlanglief, und fühlte einen unangenehmen Schmerz in der Brust. Ich sah, daß der Wagen bereits da war. Ich rannte hinein und hob mein kleines Bündel hoch, drückte es fest an mich und begrub mein Gesicht in seinen Haaren. Elsie machte sich los und griff nach irgendeinem Bild, das sie in der Schule gemalt hatte. Wir holten die Farben heraus, deckten den Küchentisch mit Zeitungspapier ab und malten weitere Bilder. Wir setzten drei Puzzles zusammen. Wir spielten Scharaden und Verstecken im ganzen Haus. Elsie nahm ihr Bad, und dann lasen wir zwei Bücher.
    Gelegentlich machte ich eine Pause und zeigte auf ein kurzes Wort – Kuh, Ball, Sonne – und fragte Elsie, was das sei, und sie riet dann einfach oder suchte auf dem Bild über dem Text nach Hinweisen. Wenn es total offensichtlich war – »Die Kuh sprang über den … Was kommt dann, Elsie?« –, tat sie kunstvoll so, als buchstabiere sie das Wort – »Em … o … nnn … de … Mond!«
    –, was mich wegen der raffinierten Schwindelei mehr beeindruckte, als wenn sie es einfach hätte lesen können.
    Nach Elsies Bad hielt ich ihren rundlichen nackten Körper fest und rieb mein Gesicht an ihren süß duftenden Haaren (»Suchst du Läuse?« fragte sie), und plötzlich wurden mir zwei Dinge klar. Ich hatte fast drei Stunden verbracht, ohne über Entsetzen und Täuschung und Demütigung nachzugrübeln. Und Elsie fragte nicht nach Finn, nicht einmal nach Danny. In dunkleren Augenblicken hatte ich manchmal ein Gefühl, als klebe Schleim an den Wänden von den Menschen, die sich darin bewegt hatten, aber Elsie war weitergegangen. Ich hielt sie fest und spürte, daß wenigstens sie nicht vom Bösen vergiftet war. Ich krächzte ihr noch ein paar Lieder vor und ging dann nach unten.
    Obwohl es erst kurz nach acht war, machte ich mir einen Becher von dem Pulverkaffee, der eigentlich für Linda reserviert war, gab reichlich Milch dazu und ging nach oben ins Bett. Elsie hatte diesen Horror so überstanden, wie es anscheinend in Kindern angelegt ist, und ich hatte plötzlich den Drang, sie von all dem wegzubringen, an einen sicheren Ort zu gehen, fern von Angst und Gefahr. Ich war nie geflohen. Als Teenager hatte ich mich über Bücher gebeugt und immer nur gearbeitet. Als Medizinstudentin hatte ich noch mehr gearbeitet, und dann, nach dem Examen, noch mehr. Es hatte nie ein Licht am Ende des Tunnels gegeben. Nur die nächste Prüfung, den nächsten Preis, das nächste Stipendium oder den nächsten Job, von dem niemand gedacht hatte, daß ich ihn bekommen würde. Essen und Spaß und Sex und die anderen Dinge, aus denen das Leben bestehen sollte, waren etwas gewesen, von dem man unterwegs nur ganz kleine Stückchen mitnahm.
    Mir kam ein Gedanke, und ich mußte bitter auflachen. Ich hatte es vergessen. Finn war all dem entkommen, war mit dem Rucksack durch ganz Südamerika gereist – oder was zum Teufel sie sonst getan hatte. Ich erinnerte mich an einen Gegenstand von Finn, den ich behalten hatte. Ich rannte in das eiskalte Zimmer, schnappte mir das zerfledderte Taschenbuch, sprintete zurück in mein Bett und zog die Decke über mich. Zum erstenmal sah ich mir das Buch richtig an. Lateinamerika praktisch: Der schlaue Reiseführer. Ich knurrte. Die besten Reiseführer der Welt – 5 Millionen verkaufte Exemplare. Ich knurrte noch einmal. Weg von

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