Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein sicheres Haus

Titel: Ein sicheres Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
Vom Netzwerk:
Elsie in ihrem sauberen, gebügelten Schlafanzug. Ich saß auf dem Sofa, Anatoly auf dem Schoß, und nur eine einzige Lampe erleuchtete das Zimmer. Ich erinnerte mich an einen Abend hier mit Danny, ein paar Tage nach meinem Einzug, als noch überall Umzugskartons herumstanden und die Regale leer waren. Er hatte ein Video ausgeliehen und uns indisches Essen mitgebracht, das er auf einer Zeitung vor uns ausgebreitet hatte.
    Wir saßen mit gekreuzten Beinen auf dem Boden und sahen uns den Film an, und ich hatte so gelacht, daß mir die Tränen kamen. Danny hatte die Behälter aus Alufolie, die noch dunkelrotes Fleisch und irgendwelche undefinierbaren Gemüse enthielten, weggeschoben, mich an sich gezogen und mir gesagt, daß er mich liebe, und ich hatte weiter gelacht und geweint. Und nie gesagt, daß ich ihn liebte. An diesem Abend nicht und später auch nicht. Jetzt saß ich in seinem Morgenrock mit der Katze im Dunkeln und sagte es ihm. Immer wieder sagte ich es ihm, als sei er irgendwo in der Dunkelheit anwesend und höre es, als könne ich ihn zurückholen, wenn ich es nur oft genug wiederholte. Und dann nahm ich ein Kissen und preßte mein Gesicht hinein und schluchzte, schluchzte mein Herz auf ein plumpes Quadrat aus geblümtem Cordsamt.
    Und danach dachte ich an Finn. Sie hatte fast zwei Monate in diesem Haus gelebt und kaum eine Spur hinterlassen. Sie hatte all ihre alten Kleider verbrannt und die paar neuen mitgenommen. Sie hatte keine Bruchstücke ihres Lebens zurückgelassen. Ich sah mich in dem dämmrigen Raum um, in dem ich saß; alle Stellflächen waren voller Gegenstände, die sich in den letzten Monaten angesammelt hatten. Der wacklige Tontopf, den Elsie in der Schule für mich gemacht hatte, der Pfirsich aus Pappmache, den Sarah mir heute mitgebracht hatte, eine Glasschale, die ich in Goldswan Green gekauft hatte, weil mir ihr reines Kobaltblau gefiel, die Katze aus Ebenholz, die Aufgabenliste von gestern, ein hölzerner Kerzenständer, ein welkender Strauß Anemonen, ein Stapel Zeitschriften, ein Stapel Bücher, ein Zinnbecher mit Stiften. Ihr Zimmer aber hatte immer ausgesehen wie ein Hotelzimmer, und sie hatte es bezogen und wieder verlassen, ohne seine Anonymität im geringsten zu stören.
    Was wußte ich über dieses Mädchen, das zwei Monate mit mir unter einem Dach gelebt, meine Mahlzeiten geteilt und meine Tochter verzaubert hatte? Nicht viel, obwohl mir klarwurde, daß sie mir eine ganze Menge Informationen entlockt hatte. Ich hatte ihr sogar von Elsies Vater erzählt. Wie hatte Lucy sie noch genannt? »Nett« und »still«. Und diese Schulfreundinnen, die ich bei der Beerdigung ihrer Eltern getroffen hatte? »Lieb«, hieß es; »lieb« und problemlos. Mir erschien sie unvergeßlich mit ihrer weichen Haut, ihrer jugendlichen Ausstrahlung.
    Gewöhnlich fixiert der Tod die Menschen, legt sie auf ihr beendetes Leben fest. Aber Finn schien der Tod aufzulösen, zu verwehen wie eine Wolke.

    32. KAPITEL
    Die Tage und Nächte wurden allmählich wieder normal und gingen ereignislos ineinander über. Es wäre übertrieben, diesen Zustand als segensreich zu bezeichnen, aber er war halbwegs erträglich, und das reichte für den Augenblick. Natürlich geschah das eine oder andere. Nach einem weiteren Monat äußerster Konzentration hatte ich das Buch fertig. Ich war sehr zufrieden über den großen Stapel Papier, den mein Drucker ausspuckte und den ich zur raschen Lektüre an Sarah schickte, damit sie mich ein bißchen ermutigte. Elsie machte Fortschritte im Lesen. Allmählich konnte ich mir vorstellen, daß sie in der Lage sein würde, sehr kurze Wörter, besonders solche mit sich wiederholenden Buchstaben wie »Mama« oder »Papa«, mit ausreichend Zeit und ein wenig gutem Willen ohne die Hilfe des Bildes über dem Text zu erkennen. Und sie gewann eine dritte Freundin: Vanda, die in Wirklichkeit Miranda hieß. Ich lud sie ein – oder vielmehr, Elsie lud sie ein, und ich stimmte der Einladung zu –, bei uns zu übernachten.
    Und meine Station sollte tatsächlich bald eröffnet werden.
    Zwei Ärzte und eine Sozialarbeiterin waren verpflichtet worden und wurden in Kürze erwartet. Ich verbrachte viele Stunden in Büros und diskutierte über Kosten und Krankenversicherung, ich besuchte Besprechungen über die interne Vermarktungspolitik des Stamford, und dann klapperte ich zusammen mit Geoff Marsh verschiedene
    Versicherungsgesellschaften ab, um bei zähen Hähnchen und Mineralwasser über den Schutz vor

Weitere Kostenlose Bücher