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Ein sicheres Haus

Titel: Ein sicheres Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Anzeichen von Rebellion? Noch schlimmer, sie mußte aufgestaut und unterdrückt worden sein, bis alles auf einmal zum Ausbruch kam. Was ebenfalls zu erwarten war.
    Die Tat als solche war einfach genug. Der Mord wurde vermutlich geplant, als Michael durch seine Arbeit in dem Komitee, das die Tierschutzaktivisten im Auge behielt, von der Drohung gegen Leo Mackenzie erfuhr. Die Gelegenheit bot sich geradezu an. Die Morde mußten nur so verübt werden, daß sie aussahen wie das Werk besonders verrückter Tierschutzaktivisten; deswegen die Fesseln, die durchschnittenen Kehlen, die Schrift an der Wand. Ich hatte das Gefühl, Leo und Liz Mackenzie nur durch ein paar unscharfe Fotos in den Zeitungen und – das lag mir schwer auf der Seele –
    durch ein paar freundliche Dinge zu kennen, die Finn über sie gesagt hatte. Aber sie waren nicht real für mich. Was real war, ein riesiger Fleck im Gitterwerk meines logischen Denkens, war das Bild von Danny mit einem Revolverlauf an der Schläfe.
    Hatte er geweint und gefleht, oder war er tapfer gewesen und hatte geschwiegen? Was hatte ich gerade gemacht in dem Moment, in dem er erkannte, daß es keine Hoffnung mehr gab, daß er auf jeden Fall umgebracht werden würde? Ich war sicher wütend auf ihn gewesen oder hatte mir selbst leid getan.
    Und Michael hatte Finn, seine Komplizin, auch getötet. Ich dachte an den geschwätzigen Brief, den sie mir geschrieben hatte, und konnte einfach nicht verstehen, wie sie mit einer Waffe am Kopf einen solchen Schwall von Worten hatte hervorbringen können. Wie wenig ich sie im Grunde doch kannte. Ständig gingen mir all die Erinnerungen an Finn in meinem Haus durch den Kopf; es war, wie wenn man mit der Zunge einen wehen Zahn betastet. Jede Berührung brachte Schmerz und Übelkeit mit sich, und doch konnte ich es nicht lassen. Finn, die wie betäubt auf dem Sofa saß. Finn in ihrem Zimmer. Ich selbst, die sie mit Hilfe meiner kleinen Tochter dazu brachte, wieder am Leben teilzunehmen. Finn, wie sie ihre Kleider vernichtete. Gespräche im Garten. Gemeinsames Kichern bei einem Glas Wein. Wie ich Finn vom Schachspiel erzählte, zuließ, daß sie sich um mich kümmerte. Es war eine Art Selbstquälerei. Vertrauen zu Michael Daley. Michael Daley, der mir Komplimente machte, wie gut ich mit Finn umgehen könne. O Gott, o Gott, o Gott, o Gott. Ich war der Lockvogel bei einer großen Bauernfängerei, die mit Blut in einem Vorort von Stamford begann, mit einer in meinem Haus aufgeführten Scharade ihre Fortsetzung fand und mit Feuer auf einem einsamen Straßenstück an der Küste von Essex endete.
    Dann war da noch Mrs. Ferrer. Was war da passiert? Hatte Michael wirklich gesagt, er hätte sie umgebracht, oder hatte ich ihn in einem Augenblick, in dem ich selbst in Lebensgefahr war, mißverstanden? Ich versuchte, an alles zu denken, was Mrs. Ferrer vielleicht herausgefunden hatte. Vielleicht hatte sie als Putzfrau ein verräterisches Beweisstück im Haus gefunden und das dem Mann erzählt, dem sie vertraute – ihrem Arzt. Aber was könnte das gewesen sein?
    Plötzlich, an einem trüben Frühlingsnachmittag, als ich im grauen Regen stand und die Segelboote in ein paar Kilometer Entfernung beobachtete, mitten in der Mündung, stellte ich mir die Frage, die zu stellen ich meinen eigenen Patienten abgewöhnte: »Warum ich?« Ich dachte daran, wie ich ein Teil des mörderischen Plans geworden war und wie effizient ich diese Rolle gespielt hatte, ich mit meiner unvergleichlichen Fachkenntnis, meiner scharfen Wahrnehmung, meiner Geschicklichkeit in der Diagnose.
    »Aber sie war nicht meine Patientin«, murmelte ich vor mich hin, als wäre es mir peinlich, wenn eine Möwe oder das Schilf zufällig mein Gejammer hörte. Wie sehr wünschte ich mir, der Plan hätte ohne mich ausgeführt werden können, oder jemand anderer wäre ausgewählt, jemand anderes Leben ruiniert, jemand anderes Liebhaber umgebracht worden.
    »Warum ich? Warum ich?« Und dann stellte ich fest, daß ich die Frage abkürzte. »Warum? Warum?«
    Ich betrachtete das Problem wie eine Schachaufgabe. Wenn man eindeutig im Vorteil ist, weil man einen Läufer mehr hat, dann läßt man sich nicht auf ein Abenteuer mit Ungewissem Ausgang ein. Man vereinfacht. Michael Daleys und Finn Mackenzies Motiv war abstoßend, aber es war einfach. Warum also war ihr Verbrechen so kompliziert? Ich ging das Geschehen im Kopf noch einmal durch, aber wieder verstand ich nicht, warum Finn bei dem Verbrechen anwesend

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