Ein sicheres Haus
ist.«
»Da steht ein Glas Milch.«
Ich notierte das.
»Ein Glas Milch auf der Fußmatte?« sagte ich in meinem besten Kindergärtnerinnenton. »Wie seltsam! Gehen wir vorsichtig um das Glas Milch herum, damit wir es nicht umwerfen, und in die Küche. Was ist in der Küche?«
»Eine Trommel.«
»Eine Trommel in der Küche? So ein verrücktes Haus! Und jetzt gehen wir mal und gucken, was auf dem Fernseher steht, ja? Was steht auf dem Fernseher?«
»Eine Birne.«
»Das ist schön. Du magst Birnen, nicht? Aber wir wollen noch nicht hineinbeißen. Faß sie nicht an. Ich habe gesehen, daß du sie angefaßt hast.« Elsie kicherte. »Laß uns nach oben gehen.
Was ist auf der Treppe?«
»Eine Trommel.«
»Noch eine Trommel? Bist du sicher?«
»Ja-a-a, Mum«, sagte Elsie ungeduldig.
»In Ordnung. Das ist ein lustiges Spiel, nicht? So, und jetzt bin ich gespannt, was im Bad ist.«
»Ein Ring.«
»Das ist aber komisch, ein Ring im Bad. Ist er dir vielleicht vom Finger gerutscht, als du im Bad geplanscht hast?«
»Hab ich gar nicht!« rief Elsie.
»Und jetzt gehen wir aus dem Bad und in Elsies Bett. Was ist in dem Bett?«
Elsie lachte.
»Im Bett ist ein Schwan.«
»Ein Schwan in einem Bett? Wie soll Elsie denn schlafen, wenn ein Schwan in ihrem Bett ist?« Elsies Augenlider begannen zu flattern, ihr Kopf wackelte. In einer Sekunde würde sie eingeschlafen sein. »Und jetzt gehen wir in Mummys Schlafzimmer. Wer liegt in Mummys Bett?«
Jetzt klang Elsie, als würde sie gleich wegdösen.
»Mummy ist in Mummys Bett«, sagte sie leise. »Und Elsie ist in Mummys Armen. Und ihre Augen sind zu.«
»Das ist schön«, sagte ich. Aber ich sah, daß Elsie bereits schlief. Ich beugte mich über sie und strich ihr ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. Paul, der geheimnisvolle abwesende Besitzer der Wohnung, hatte in der Ecke seines Schlafzimmers einen Schreibtisch, zu dem ich auf Zehenspitzen schlich und an den ich mich mit dem Notizblock setzte. Ich rieb mir leicht mit den Fingern den Hals und spürte den Puls. Er mußte fast hundertzwanzig betragen. Heute hatte die Mörderin meines Geliebten meine kleine Tochter entführt. Warum hatte sie sie nicht getötet oder ihr sonst etwas angetan? Ich mußte plötzlich ins Badezimmer rennen, übergab mich aber nicht. Ich atmete ein paarmal tief durch und kehrte an den Schreibtisch zurück, schaltete die kleine Lampe ein und sah mir meine Notizen an.
Die Mörderin, X, hatte meine Tochter entführt, hatte riskiert, geschnappt zu werden, und all das nur, um mit ihr eines der albernen kleinen Gedächtnisspiele von früher zu spielen. Als Elsie mir schilderte, was sie gemacht hatten, war ich auf etwas Schlimmes gefaßt gewesen, aber statt dessen war da diese dumme Aufzählung banaler Gegenstände: runde Blätter, ein Glas Milch, eine Trommel, eine Birne, noch eine Trommel, ein Ring, ein Schwan und dann Elsie und ich in meinem Bett, mit geschlossenen Augen. Was sind runde Blätter? Ich machte kleine Skizzen davon. Ich nahm den ersten Buchstaben von allen Gegenständen und spielte nutzlos damit herum. Ich versuchte einen Zusammenhang zwischen den Orten herzustellen, an denen sich die Objekte befanden. Gab es etwas bewußt Paradoxes an einem Schwan in einem Bett, einem Glas Milch auf der Fußmatte? Vielleicht hatte diese namenlose Frau meinem Kind zufällige Gegenstände eingeprägt, um ihre Macht zu demonstrieren.
Ich verließ den Schreibtisch, ging ins Bett zurück, legte mich neben Elsie, lauschte ihrem Atem, spürte das Heben und Senken ihrer Brust. Gerade, als ich das Gefühl hatte, eine ganze Nacht ohne Schlaf hinter mir zu haben, und mich fragte, wie ich den nächsten Tag überstehen sollte, weckte mich Elsie, indem sie meine Augenlider auseinanderzog. Ich stöhnte.
»Was passiert heute, Elsie?«
»Weiß nicht.«
Es war der erste Tag in ihrer neuen Schule. Meine Mutter hatte am Telefon mißbilligend geklungen. Elsie ist kein Möbelstück, das man einfach aus London weg- und dann wieder zurückbringen kann, wie es einem paßt. Sie braucht Stabilität und ein Zuhause. Ja, ich wußte, was meine Mutter sagen wollte.
Daß sie einen Vater und Brüder und Schwestern und vorzugsweise eine Mutter brauchte, die mir so unähnlich wie möglich war. Ich war forsch und fröhlich, als ich mit meiner Mutter telefonierte. Als sie aufgelegt hatte, weinte ich und war gereizt und deprimiert, aber danach ging es mir besser. Die Grundschule war verpflichtet, Elsie aufzunehmen, weil unsere
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