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Ein sicheres Haus

Titel: Ein sicheres Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Notfälle angeboten. Dies war ein Notfall. Ich brachte Elsie ein paar Häuser weiter in ein Reihenhaus mit einem spanischen Teenager und einem finster dreinblickenden Fünfjährigen. Elsie marschierte hinein und drehte sich nicht einmal um, um auf Wiedersehen zu sagen. Ich stieg in meinen Wagen und fuhr nach Westen. Ich würde in beiden Richtungen gegen den Strom schwimmen.

    Es war nicht schwer, die St. Anne’s Church auf der Avonmouth-Seite von Bristol zu finden. Ich ging durch das Tor in die grüne Stille des Friedhofs, einen Strauß Frühlingsblumen in der Hand.
    Dannys Grab war leicht zu erkennen: Zwischen all den bemoosten Grabsteinen, deren Namen kaum noch zu entziffern waren, hob sich seine rosa gesprenkelte Grabplatte auffallend ab. Jemand hatte Blumen hingelegt. Ich sah auf die schwarzen Buchstaben: Daniel Rees, geliebter Sohn und Bruder. Ich zog eine Grimasse: Das schloß mich wirksam aus. 1956-1996. Er hatte es nicht bis zu der Geburtstagsparty geschafft, die wir hatten geben wollen. Ich würde altern, mein Gesicht würde Falten bekommen und mein Körper unter den Beschwerden, Schmerzen und Anfälligkeiten des Alters krumm werden und leiden; aber er würde in meiner Erinnerung immer jung bleiben, immer stark und schön.
    Ich schaute auf die zwei Meter häßlichen rosa Marmors nieder und fröstelte. Darunter lag sein herrlicher Körper, den ich umarmt hatte, als er noch warm und voller Verlangen war, jetzt verkohlt und verwesend. Sein Gesicht, die Lippen, die mich erforscht, die Augen, die mich angesehen hatten, vermoderten.
    Ich setzte mich neben den Grabstein, legte eine Hand auf die Grabplatte, als sei sie Teil eines warmen Körpers, streichelte sie.
    »Ich weiß, daß du mich nicht hören kannst, Danny«, sagte ich.
    Selbst seinen Namen laut auszusprechen, schmerzte mich.
    »Ich weiß, daß du nicht hier bist und auch sonst nirgends. Aber ich mußte herkommen.«
    Ich sah mich um. Niemand war auf dem Friedhof. Nicht einmal ein Vogel zwitscherte. Nur die Autos auf der Hauptstraße ein paar hundert Meter weiter störten die Stille.
    Also zog ich meine Jacke aus, legte meine Tasche ab, nahm die Blumen von der Grabplatte und legte mich selbst darauf, die Wange an den kalten Stein gepreßt. Ich streckte mich der Länge nach auf Danny aus, wie ich es noch manchmal in meinen Träumen tat.
    Ich weinte hemmungslos, war voller Selbstmitleid und Trauer; salzige Tränen benetzten den Stein. Ich weinte um mein verlorenes Leben. Ich dachte an unsere erste Begegnung zurück, an das erste Mal, als wir miteinander schliefen, an Ausflüge mit Elsie – nur wir drei, die nicht wußten, wie glücklich sie waren.
    Ich dachte an seinen Tod. Ich wußte, daß ich darüber hinwegkommen würde; eines Tages würde ich vermutlich jemand anderen kennenlernen, und alles würde von neuem beginnen, aber im Augenblick fühlte ich mich einsam und verlassen.
    Dann erhob ich mich steif. Als ich sprach, war ich seltsam verlegen, als spielte ich die Rolle der trauernden Witwe in irgendeiner dilettantischen Laienaufführung: »So, das war es.
    Dies ist mein Abschied.« So melodramatisch die Situation auch war, ich konnte nicht aufhören, es zu sagen. Ich konnte mich einfach nicht überwinden, es zum allerletztenmal zu sagen:
    »Adieu, adieu, adieu, adieu.«

    Ich zog meine Jacke wieder an, hob meine Tasche auf, legte die beiden Blumensträuße wieder auf die Grabplatte, einfach so, verließ den Friedhof und schaute kein einziges Mal mehr durch das Tor zurück auf die Stelle, wo sie lagen. Und wenn ich schnell genug fuhr, würde ich rechtzeitig zurück sein, um Elsie zu Bett zu bringen und ihr ein Lied vorzusingen, bevor sie einschlief.

    38. KAPITEL
    Das Telefon läutete, als ich die Treppe hinaufrannte, Akten unter einem Arm und mit zwei Tüten in den Händen, in denen sich unser Abendessen befand. Ich stolperte über Anatoly, fluchte, ließ die Tüten fallen und erwischte den Hörer genau in dem Moment, in dem sich der Anrufbeantworter einschaltete.
    »Bleiben Sie dran«, sprach ich atemlos über meine höfliche Tonbandstimme, »er schaltet sich gleich aus.«
    »Sam, hier ist Miriam. Ich wollte nur fragen wegen heute abend … Bist du noch dabei?«
    »Natürlich. Der Film fängt um halb neun an, und ich habe den anderen gesagt, daß wir uns um zwanzig nach acht draußen vor dem Kino treffen. Ich habe etwas zu essen besorgt, das wir uns hinterher zu Gemüte führen können. Wird schön sein, euch wiederzusehen.«
    Ich packte die

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