Ein sicheres Haus
eingesogen. Die Felsen kamen jetzt näher, ich konnte die Spalten und Zacken klar erkennen. Der Wind wurde plötzlich heftiger, und ich konnte nur schreien.
»Needle Point?« fragte ich.
Er nickte.
»Sie werden mich umbringen.«
Aber ich sprach zu leise, er konnte mich nicht hören, und außerdem war er mit dem Segeln beschäftigt. Ich schaute auf den Boden des Bootes. Ein Schöpfeimer. Eine lange Metallstange. Ein nicht benutztes Segel war im Bug verstaut.
Eine Rolle Seil. Ein Paar Ruder. Das Boot war jetzt wie ein durchgehendes Pferd, tauchte die Nase wieder und wieder ins Meer. Plötzlich war Stille, und ich spürte ringsum überhaupt keinen Wind mehr, obwohl ich das aufgewühlte Wasser sehen konnte. Die Segel hingen schlaff herunter. Wir waren im Auge des Sturms. Ich schaute zu Michael hinüber, der mich ansah. Er schüttelte wie enttäuscht den Kopf.
»Es ist so entnervend und unnötig«, sagte er. »Wie die verdammte Putzfrau.«
»Wie Mrs. Ferrer? Sie …«
Michael wandte sich ab. Er schaute von einer Seite zur anderen, schätzte, woher der Wind kommen würde. Er sagte nichts, und wir saßen für einen stillen Moment nebeneinander –
ich und der Mann, der mich töten würde. Einen Augenblick schien Michael fast verlegen über die peinliche Unterbrechung.
Dann erfaßte der Wind uns voll von hinten, und das Boot tat einen Satz. Die Segel knatterten so laut wie eine abgefeuerte Kanone, und der Bug bäumte sich so hoch aus dem Wasser auf, daß ich zu Boden geschleudert wurde. Einen Moment lang dachte ich, das Boot würde nach hinten umkippen. Mit den Beinen strampelnd blickte ich auf und sah, daß Michaels Gesicht auf mich hinunterschaute. Hübsch und höflich zeichnete es sich vor dem grauen Himmel ab.
»Tut mir leid, Sam«, sagte er und neigte sich über mich, als wollte er sich verbeugen. Er hatte die Stange in der Hand.
Ich rappelte mich hoch, den Schöpfeimer in der Hand, und stürzte mich auf den Baum. Er flog auf Michael zu, aber der duckte sich. Ich warf ihm den Eimer an den Kopf und trat wild nach ihm. Er knurrte und ließ die Pinne, das Hauptsegel und die Stange los. Wasser strömte jetzt ins Boot, und der Baum krachte von einer Seite zur anderen. Michael stürzte sich auf mich, packte mich um die Taille und riß mich wieder auf den Boden des Bootes. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt; ein dünnes Rinnsal Blut lief ihm über die Stirn. Unter Schweiß und Gischt sah ich eine Spur von Bartstoppeln. Ich zog das Knie unter seinen angespannten Rumpf und stieß es ihm kräftig zwischen die Beine. Dann, als er sich krampfhaft zusammenkrümmte, biß ich in das nächstliegende Stück Fleisch. Seine Nase. Er schrie und boxte gegen mein Kinn, meinen Hals, meine Brüste, den gewölbten Gummianzug über meinem Bauch. Er drückte mir einen Finger ins Auge, so daß ich einen Moment lang die Welt wie einen roten Ball aus Schmerz wahrnahm. Ich spürte seinen Atem, und ich spürte die Schläge, die auf meinen Körper, mein Kinn, meine Rippen niederprasselten.
Michael richtete sich ein wenig auf, die Knie auf meinen ausgestreckten Armen, und legte die Hände um meinen Hals.
Ich spuckte ihn an, spuckte mein Blut in sein verdammtes, grimassierendes Gesicht. So war das also. Ich sollte erwürgt und über Bord geworfen werden wie ein lebender Köder. Er begann zuzudrücken, langsam und konzentriert. Hinter seinem Kopf sah ich die riesige Felsformation von Needle Point über uns, die den Himmel verdeckte. Ich stemmte mich gegen Michaels Körper.
Ich mußte leben. Ich mußte dringend leben. Ich dachte, wenn ich laut Elsies Namen aussprechen könnte, würde ich leben. Ich öffnete den Mund und spürte, wie meine Zunge herausglitt, wie meine Augen rollten. Wenn ich Elsies Namen sagen konnte, würde ich trotzdem leben, obwohl meine Welt schwarz geworden war.
Der Bootsrumpf tat einen Satz, und ich hörte das krachende Geräusch von Holz auf Fels. Michael wurde von mir geschleudert. Schwarze Wellen; überall schwarze Felsen. Ich erhob mich auf die Knie, packte die Stange, und als Michael sich in dem auseinanderbrechenden Boot aufrichtete, stieß ich sie ihm mit aller Kraft in den Körper und sah ihn fallen. Das war noch nicht genug. Verzweifelt sah ich mich um. Die Pinne. Wie hatte Michael mich noch davor gewarnt? Ich riß sie mit einem Ruck an mich. Der lose Baum tat einen Satz und traf ihn mit voller Wucht. Sein Körper stürzte ins Meer.
»Elsie«, rief ich, »Elsie, ich komme nach
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