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Ein sicheres Haus

Titel: Ein sicheres Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Bewegung des Baums und knatternden Segeln wendeten wir und waren auf dem offenen Meer. Der Wind kam jetzt stetig von einer Seite. Ich blickte zurück und konnte das Ufer nicht mehr sehen. Es war in dunstigem Grau verschwunden.
    »Das war ganz gut.«
    »Danke.«
    »Fühlen Sie sich allmählich besser, Sam?«
    Ich versuchte ein Achselzucken und murmelte etwas Unbestimmtes.
    »Was war das?«
    »Mir ist nicht übel«, sagte ich. Er sah mich genau an. Er wandte sich ab. Er hielt jetzt Pinne und Hauptsegel mit einer Hand und fummelte mit der anderen an etwas herum. Ich sah mich um. Dann war er dicht neben mir.
    »Was haben Sie gefunden, Sam?«
    Ich hatte ein kaltes, metallisches Gefühl in der Magengrube.
    »Nichts«, sagte ich.

    Sehr schnell, ehe ich mich bewegen konnte, packte er mein rechtes Handgelenk und öffnete meine Finger. Er war stark. Er nahm mir das kleine Papiertier ab.
    »Vermutlich«, sagte er, »hat es irgendwo in Ihren Kleidern gehangen.«
    »Ja«, sagte ich.
    »Oder in meinen. «
    »Ja«, sagte ich.
    Mit einem unheimlichen kleinen Kichern schüttelte er den Kopf.
    »Leider nicht«, sagte er. »Ziehen Sie Ihre Leine fester an, Sam, wir kreuzen jetzt ein bißchen.«
    Der Wind wurde wieder stärker; er biß in meine linke Wange.
    Michael zog die Pinne an, so daß sich das Boot aus dem Wind drehte, und ließ das Hauptsegel flattern. Wir hatten die Landspitze sicher umrundet und fuhren jetzt wieder auf die Küste zu, auf die scharfen, spitzen Felsnadeln, die er mir letztes Mal gezeigt hatte. Ich drehte mich um und betrachtete ihn aus der Nähe. Sein seltsames Gesicht sah in Wind und Gischt am besten aus. Der Nebel in meinem Kopf verzog sich langsam.
    Finn war ermordet worden. Danny war ermordet worden, und ich würde ermordet werden. Ich mußte sprechen.
    »Sie haben Finn getötet.«
    Michael sah mich mit einem Lächeln an, sagte aber nichts.
    Seine Pupillen waren geweitet: Hinter der gefaßten Fassade war er erregt. Was hatte er mir einmal über die Liebe zur Gefahr gesagt?
    »Jetzt die Leine locker lassen, Sam.«
    Gehorsam gab ich Seil nach, und das kleine Segel füllte sich mit Wind. Das Boot lag wieder gerade, der Bug hob sich; unter uns rauschte Wasser.
    »Ist Danny zufällig dahintergekommen? War es das? Haben Sie Danny deshalb umgebracht und den Selbstmord vorgetäuscht? Und den Brief, diesen schrecklichen Brief.«
    Michael zuckte knapp mit den Schultern.
    »Leider war ein gewisser Zwang nötig, um ihn zustande zu bringen.«
    Mit der rechten Hand bildete er die Form einer Pistole und legte den Finger an seine Schläfe. »Aber Sie sehen nicht das ganze Bild, Sam.«
    »Und dann …« Mir war alles egal. Mein eigenes Leben war mir egal. Ich mußte es einfach wissen. »Ich nehme an, Sie und Finn haben zusammen Finns Eltern umgebracht.« Die Belladonna trug uns auf die gefährlichen Gegenströmungen zu; ich sah, wie er mit dem berechnenden Blick des Seglers die Entfernung abschätzte. Ich schaute ins Wasser. Tod durch Ertrinken.
    »So ungefähr«, antwortete er beiläufig und lächelte wieder, als sei ihm ein Witz eingefallen. Seine Zähne und seine grauen Augen glänzten, sein Haar wurde von Wind und Gischt nach hinten gepeitscht. Er sah erregt, ziemlich schön und erschreckend aus.
    Und dann dachte ich an Elsie. Ich erinnerte mich, wie ihr Körper sich an meinem anschmiegte. Ich konnte fast ihre kräftigen kleinen Arme um meinen Hals fühlen. Ich erinnerte mich, wie sie am Morgen ausgesehen hatte, als ich sie vor der Schule absetzte, mit ihren roten Strumpfhosen, dem Tupfenkleid, den kräftigen Beinen und den Sommersprossen.
    Der Glanz auf ihrem Haar. Ihre Konzentration, die rosa Zungenspitze, die aus ihrem Mund lugte, wenn sie malte. Ich würde nicht hier draußen sterben und meine Tochter als Waise zurücklassen. Gelassen hielt ich das Seil zwischen den Fingern.
    »Warum haben Sie Finn dann umgebracht?«
    Da lachte er; er warf tatsächlich den Kopf zurück und lachte schallend, als hätte ich einen glänzenden Witz gemacht.

    »Wegen des Geldes natürlich. Aber Sie sehen nicht, wie schön das Gesamtbild ist.«
    Da richtete sich das Boot auf einmal wieder auf, als hätte der Wind plötzlich die Richtung gewechselt. Die Segel flatterten, und der Baum schwang hin und her. Ohne daß Michael etwas sagte, zog ich meine Leine straff, während er das Hauptsegel einholte und das Boot auf den wilden Strudel zuraste. Ich konnte ihn nun sehen: einen glänzenden Fleck, an dem das Wasser aussah, als werde es

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