Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein sicheres Haus

Titel: Ein sicheres Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
Vom Netzwerk:
was machte ich eigentlich hier?

    Ich hatte auf dem Weg zur Bank meine Gummischuhe fallen lassen, und so tappte ich vorsichtig durch die Hütte, um sie aufzuheben, wobei ich zu vermeiden versuchte, mit den bloßen Füßen auf Holzsplitter oder Steinchen zu treten, und ging dann behutsam zurück. Als ich wieder auf der Bank saß, rieb ich mir den Schmutz von den Fußsohlen. Etwas – es fühlte sich an wie ein Strohhalm – steckte zwischen meinen Zehen. Ich spreizte sie und zog es heraus. Ein rosa Papierfetzen, gefaltet zu etwas mit vier Beinen, einer Art Kopf und einem komischen kleinen Schwanz. Ich drehte es in den Fingern. Es war ein kleiner Cousin der sechs Papiertierchen auf meinem Küchentisch.
    Danny war hier gewesen. Konnte Michael das mitgebracht haben?
    Hatte es vielleicht an seinen Kleidern gehangen? »Die Hütte ist seit letztem Frühjahr nicht benutzt worden.« Letztes Frühjahr hatten Danny und ich uns in London gestritten. Danny war hier gewesen. Ich glühte fiebrig. Ich wußte, daß ich klar denken mußte, aber die Gegenstände im Raum veränderten ihre Größe, mir war schwindlig. Mein Magen hob sich, ich spürte, wie sich unter dem Gummianzug jedes Härchen auf meiner Haut aufrichtete. Irgendwo am Rand meines Bewußtseins gab es einen Streifen Klarheit, und ich mußte versuchen, dorthin zu gelangen; aber alles, dessen ich sicher gewesen war, hatte jetzt seine Form verloren. Danny war hier gewesen.
    »Denken Sie an Ihre Schwimmweste, Sam.«
    Ich wandte mich zur Tür, wo Michaels Silhouette sich vom Grau abhob. Ich schloß die Faust um die kleine Papierfigur. Er kam auf mich zu.
    »Lassen Sie mich helfen«, sagte er. Er zog den Reißverschluß an meinem Rücken so ruckartig zu, daß ich nach Luft schnappte.
    Seine massive physische Präsenz war mir sehr bewußt. »Und jetzt die Stiefel.« Er kniete vor mir nieder. Ich setzte mich hin, und er nahm nacheinander meine Füße und schob sie sanft in die Stiefel. Mit einem Lächeln sah er auf. »Der Schuh paßt, Aschenputtel«, sagte er. Danny war hier gewesen. Er nahm eine gelbe Schwimmweste vom Haken und zog sie mir über die Schultern. »Und jetzt noch die Handschuhe.« Ich schaute auf meine geschlossene Faust nieder und nahm die Handschuhe in die linke Hand.
    »Ich ziehe sie gleich an.«
    »Fein«, sagte er. »Dann sind wir soweit.«
    Einen Arm leicht auf meinen Rücken gelegt, führte er mich zum Boot hinunter, und wir kletterten hinein. Er sah mich an.
    Da uns der Wind ins Gesicht blies, konnte ich seinen Ausdruck nicht erkennen.
    »So, jetzt wollen wir uns ein bißchen amüsieren.«
    Ich war schon einmal hier gewesen. Das nasse Tau rieb mir die Handfläche wund, als ich es strammzog; das Boot hob sich steil in den Wind, die Segel knatterten, eisgraues Wasser schwappte über die Seiten. Seevögel stießen eigenartige Schreie aus, als wir aufs offene Meer hinausrauschten. Bei den kurzen Kommandos
    »Fertig-zum-Halsen« warf ich mich verzweifelt von einer Seite auf die andere. Dann folgten schweigende Minuten, in denen wir uns gegen das wilde Krängen des Rumpfes zurücklehnten.
    Danny war in dem Bootshaus gewesen. Ich versuchte, mir eine harmlose Erklärung dafür auszudenken. Konnte Danny auf einem Spaziergang mit Michael dort gewesen sein? Die Tür war seit dem letzten Frühjahr nicht geöffnet worden. Das hatte Michael gesagt. Ich hielt die kleine Papierfigur noch immer in der eiskalten Faust.
    Rasch entfernten wir uns vom Ufer, und Gischt flog mir ins Gesicht, so daß er nicht merken würde, ob ich weinte. Ich merkte es selbst nicht. Bilder gingen mir durch den Kopf: Finn bei der Ankunft in meinem Haus, so weiß und stumm. Danny, der sie über den Tisch anstarrte – und der Ausdruck damals, an den ich mich lebhaft erinnerte, war kein Verlangen, sondern Mißmut. Danny mit Elsie, die er auf seinen Schoß hob; wenn er den Kopf zu ihr senkte, vermischte sich sein schwarzes Haar mit ihren blonden Strähnen. Ich versuchte, Gedankenfetzen festzuhalten. Danny war dort gewesen. Danny war nicht mit Finn durchgebrannt. Danny hatte nicht Selbstmord begangen.
    »Sie sind so still, Sam. Kommen Sie allmählich klar?«
    »Vielleicht.«
    In diesem Augenblick erfaßte uns ein Windstoß, und das Boot legte sich fast waagerecht. Ich verlagerte mein ganzes Gewicht nach außen.
    »So, jetzt sind wir fast um die Landspitze herum.« Michael hörte sich vollkommen ruhig an. »Dann brauchen wir nicht mehr so hart am Wind zu segeln. Fertig zum …«
    Und mit einer sauberen

Weitere Kostenlose Bücher