Ein silbernes Hufeisen
ihm und Guinievaire herrschte und dass sie ihn genauso sehr liebte wie er sie, dass sie es aber nicht ganz so offensichtlich zeigen konnte, einfach weil ihre Familie zerrüttet und sie ein ängstlicher Mensch war. Er dachte an dieses Bild, das er immer von Guinievaire gehabt hatte, als vermutlich einziger Mensch auf der Welt: für ihn war sie ein unsicheres Mädchen gewesen, jemand, der Aufmerksamkeit brauchte und Zuwendung und er hatte derart viel Geduld mit ihr gehabt, weil er sich immer sicher gewesen war, dass sie es ihm irgendwann einmal danken würde. Irgendwann wäre sie erwachsen geworden und hätte sich in all das verwandelt, was Tony unter der harten Schale vermutet hatte. Aber nun, wo er eigentlich nur ein winziges Detail mehr über sie erfahren hatte, formierte sich ein ganzes, neues Bild in seinem Kopf und das Schlimme daran war, er dachte nicht zwingend schlechter von ihr. Er war wütend und verletzt darüber, dass sie ihn angelogen hatte, über eine sehr lange Zeit hinweg sogar, und weil sie ihn nun einfach und gedankenlos verlassen hatte, aber er vergaß zugleich auch nicht, was es war, das er über sie erfahren hatte: Guinievaire liebte einen anderen Mann, seit Jahren, auf eine leidenschaftliche und offenbar heftige Art und dieser Mann liebte sie zweifellos nicht weniger, als Tony sie liebte, denn er hatte sie geheiratet und würde sich ab sofort gut um sie kümmern. Dies war das glückliche Ende für eine andere Geschichte und Tony war froh, dass es ihr gut ging und dass sie nicht mehr eingesperrt war oder unter der Obhut ihres Vaters stand. Und dennoch hegte er einen Groll auf sie und auf ihren Lord, der sie ihm gestohlen hatte, auf ihren Vater, ihre Freunde, die ihn belogen hatten und auf die Welt und das Schicksal, das nicht zugelassen hatte, dass Tony am Ende der Held und der Mann an ihrer Seite war. Es war ein ruhiger Groll und er saß tief in Tonys Brust, warm und unvorhersehbar, was einzig und allein bewies, wie viel er für sie empfand und dass sie ihm tatsächlich sein lange geschundenes Herz endgültig gebrochen hatte. Wie gerne hätte er doch gewusst, wo sie sich aufhielt. Er verspürte den dringenden Wunsch, sie noch einmal wiederzusehen, nur um endlich die Wahrheit von ihr zu erfahren. Wie sehr hatte sie ihn geliebt und wie viel davon hatte er sich lediglich eingebildet?
Letzter Oktober
Guinievaire hatte von Alex gelernt, wie man rauchte oder wie man Poker und Billard spielte, und weil sie immer mit ihm und seiner Gruppe von nichtsnutzigen Freunden hatte mithalten müssen, vertrug sie übernatürlich viel Alkohol. Sie hatte ihre Art zu Sprechen von Alex übernommen und sie besuchte nur jene Restaurants, die sein Gütesiegel trugen, und außerdem ging sie nur dann aus, wenn sie sich sicher sein durfte, dass er ebenfalls anwesend war oder sie ohnehin schon zusammen mit ihm kam. Zudem hatte Guinievaire schon seit vielen Jahren den gleichen Schneider wie Alex und all die aufwendigen, maßgeschneiderten Roben, die sie dort bestellte und anfertigen ließ, gingen allein auf seine Rechnung. Immerhin war ihr Vater, selbst wenn es den Hastings keineswegs an finanziellen Mitteln mangelte, ganz und gar nicht freigiebig, ging es um seine einzige, wertvolle Tochter. An Alex‘ Großzügigkeit hingegen änderte sich auch nach der Trennung der beiden zunächst nichts, weswegen sie durchaus in der Lage war, auch weiterhin stets neue Kleider zu tragen. Denn Alex wusste genau, wie wichtig ihr ihre perfekte Erscheinung war und er hätte es deshalb nicht über sein durchaus empfindsames Herz gebracht, ihr eine ihrer größten Freuden einfach zu nehmen. Sie sahen einander nicht mehr sonderlich oft in dieser schwierigen Zeit, und wenn sie es taten, dann waren sie betont höflich, aber stets distanziert. Es war so merkwürdig wie es qualvoll war für Guinievaire, den Menschen, der ihr auf dieser Erde am meisten am Herzen lag, zu behandeln, als sei er nicht mehr als ein entfernter Bekannter, besonders weil er sich erwachsener betrug, als sie es jemals für möglich gehalten hatte. Oft zweifelte sie deshalb auch an ihrer schweren Entscheidung und wünschte sich heftig in frühere Zeiten zurück. Aber weil sie gleichzeitig schrecklich beschäftigt damit war, ihre Beziehung zu Tony, dessen Verlobte sie nun immerhin war, zu vertiefen, dachte sie zugleich glücklicherweise nicht allzu viel an ihren besten Freund. Und wenn sie es doch tat, dann konnte sie nicht im Geringsten verstehen, warum es ihrem Alex
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