Ein silbernes Hufeisen
hatte er lange herausgefunden, dass Guinievaires Vater seine Tochter ganz bestimmt nicht verzogen hatte – er mochte sie meist noch nicht einmal ausstehen. Wer hatte sie also verhätschelt und von wem hatte sie alles bekommen, was sie sich wünschte?
„ Komm bitte wieder herein,“ bat Tony sie eindringlich.
Sie schüttelte den Kopf. „Sag mir nicht, was ich tun soll.“
„ Guinievaire, wir sind im zweiten Stock, du könntest fallen,“ erklärte er verzweifelt.
„ Ich bin aber kein Kleinkind, Tony,“ gab sie unbeeindruckt zurück.
Dieser, der nun endgültig die Geduld mit ihr verlor, riss beide Hände in die Luft und fuhr mit ihnen ratlos immer und immer wieder durch sein zugegebenermaßen bereits recht unordentliches Haar.
„ Warum benimmst du dich heute bloß so?“ platzte es dabei aus ihm hervor, wobei seine Stimme, wie er selbst fand, merkwürdig hoch klang.
„ Wie benehme ich mich denn?“ zischte sie herausfordernd zurück.
Dieses Wesen, beschloss Tony derweil, das auf dem Fensterbrett saß, dies war nicht seine geliebte Guinievaire. Es sah ihr noch nicht einmal ähnlich, so böse und gereizt wie ihre Augen funkelten. Mit einem Mal erinnerte Tony sich daran, dass sie ihm vor Kurzem erst gesagt hatte, dass er sie nicht kannte und dass sie womöglich ein Ungeheuer war. Wollte sie ihn prüfen mit diesem Verhalten?
„ Du benimmst dich, als wärest du nicht du selbst!“ rief er voller Einsicht in ihr komplexes, schwieriges Wesen, dabei zog er bettelnd die Augenbrauen zusammen.
Einen kurzen Moment lang wirkte sie verwirrt ob dieser Antwort, als hätte sie mit Schlimmerem gerechnet, dann wurden ihre Gesichtszüge jedoch plötzlich weich und damit wieder zu den ihren, die er erkannte. Tony machte also zwei Schritte auf sie zu und streckte bestimmt die Hand aus. „Du hast recht,“ meinte sie mit einem Mal zur Vernunft gekommen. „Ich habe Höhenangst.“
„ Komm bitte wieder ins Zimmer, Guinievaire,“ flehte Tony daraufhin noch einmal.
Sie musterte ihn zunächst vorsichtig, als wolle sie ihm etwas sagen, aber sie schwieg weiter für einen langen Augenblick. Dann, nachdem sie die brennende Zigarette achtlos in die Tiefe hatte fallen lassen, griff sie schließlich doch mit ihren knochigen Fingern nach seiner Hand und behutsam zog er sie, als sie leise vom Sims gesprungen war, gegen sich, wo er sehr erleichtert ihren Scheitel küsste und fest ihre stählerne Mitte umklammert hielt.
„ Es tut mir leid, Tony,“ murmelte sie reumütig gegen seinen Hals. Dies war Guinievaire Hastings, dies war das wundervolle Wesen, das er liebte. Tony nickte zufrieden.
„ Guinievaire, du musst in meiner Gegenwart nicht vorgeben, jemand anderes zu sein,“ erklärte er ihr zärtlich, denn sie wusste es vermutlich nicht besser. „Ich liebe dich, wie du bist.“
Was sie ihm daraufhin antwortete, das sagte sie an diesem Tag zum ersten Mal zu ihm, womit sie einen Augenblick schuf, den Tony niemals wieder vergessen würde.
„ Ich liebe dich auch,“ gestand sie ihm leise und dabei blickte sie ihm sehr vorsichtig und ehrlich in die Augen.
Beinahe zitterte Tony ob dieses lange ersehnten Geständnisses, während er sie weiter festhielt und als er sie ansah, da war all der Ärger mit einem Mal vergessen. Denn dies war der wundervollste Moment für absolut jedes Paar und Tony konnte sein Glück kaum fassen, weil sie ihn liebte, tatsächlich. Guinievaire Hastings, das komplizierteste Wesen, das er jemals getroffen hatte, liebte ihn, wie er sie liebte. Sie selbst musste es doch nun spüren, dass sie einander in diesen Sekunden unendlich viel näher waren, als sie es jemals durch jegliche Art von Körperkontakt sein konnten. Und zudem war dies hier, dieses Gefühl, tausendmal besser.
Um zu besiegeln, was sie ausgesprochen hatten, küsste Tony sie schließlich, damit wirklich alles vollkommen und romantisch war. Dabei genoss er ihre Lippen und ihre Nähe, wie niemals zuvor, oder zumindest tat er dies bis Guinievaire mit der Zeit heftiger und heftiger vorging, schnell atmete, die Zunge in seinen Mund schob und dann ihre kalte Hand schließlich langsam seinen Bauch hinunter wanderte. Verzweifelt griff er nach ihr und gebot ihr Einhalt.
Nun, vielleicht musste er es einräumen, vielleicht hatte er sogar ein klein wenig Angst und vielleicht machte sie ihn auch ein wenig nervös mit ihrer Bestimmtheit und ihrer unnachgiebigen Vehemenz. Je mehr sie ihn jedoch drängte desto schlimmer machte sie es.
„ Hör auf,
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