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Ein silbernes Hufeisen

Ein silbernes Hufeisen

Titel: Ein silbernes Hufeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Barbera
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Guinievaire,“ bettelte er, weil er nicht konnte, weil er es nicht wagte. Er wollte sie nicht enttäuschen, aber er musste es. „Du folterst mich, wirklich.“
    Frustriert befreite sie sich daraufhin ein weiteres Mal von ihm und wischte sich dabei mit dem langen Handrücken unsanft über den kleinen Mund, ihm einen schmutzigen Blick zuwerfend. „Nun, dann sollte ich wohl besser gehen,“ zischte sie unglücklich, während sie nach ihrem dünnen Mantel griff, der über der Stuhllehne am Schreibtisch lag.
    „ Warum nur ist es dir so wichtig?“ rief Tony aus. Warum nur? Sie hatte gerade zugegeben, dass sie ihn liebte, wie konnte ihr also jene unglaubliche Intensität dieses Gefühls nicht fürs Erste genügen? Warum konnte sie sich nicht gedulden, und was war es, wonach es sie derart dringend verlangte?
    „ Nein, Tony,“ gab Guinievaire ebenso laut zurück. „Die Frage ist vielmehr, warum es dir überhaupt nicht wichtig ist!“ Stürmisch verließ sie ihn dann mit diesen Worten.

5 Juni
     
     
    Der Juni verging zunächst erst einmal damit, dass man sich ausgesprochen und ausgiebigst schuldig fühlte. Tony bewahrte lange Stillschweigen über seine erschütternde Entdeckung und verbrachte heimlich und ohne Wissen seiner Gastgeber jeden Tag viele Stunden bei der Weide unter Guinievaires Fenster und starrte zu ihr nach oben. Das tat er vor allem aus dem einen Grund, weil er ihr deutlich zeigen wollte, dass er wieder bei ihr war und dass sie sich trotz der langen Zeit, die sie auf ihn hatte warten müssen, auch weiterhin auf ihn verlassen konnte, mehr als auf alles andere in der Welt. Dabei quälte Tony vor allem der schmerzliche Gedanke, dass seine Verlobte noch nicht einmal wusste, in welchem Ausmaß er sich tatsächlich gegen sie versündigt hatte, und vielleicht glaubte Guinievaire sogar, er habe sie die ganzen fünf Monate hindurch verzweifelt gesucht und vielleicht hoffte sie, er habe bereits einen brillanten Plan für ihre Rettung. Wenn er hinter der Gartenmauer stand, dann wünschte er sich nichts mehr, als mit ihr reden zu können. Er wollte ihr alles gestehen, denn er wollte unbedingt ehrlich zu ihr sein. Sie musste wissen, dass er eine kurze Zeit geschwankt hatte, damit sie ihm vergeben konnte. Und dann konnte Tony sich wieder voll darauf konzentrieren, der einzig wahre und absolut beste Mann für sie zu sein. Er brauchte viel Zeit bis er begriffen hatte, dass er seine Verlobte tatsächlich zu unversehens wieder bekommen hatte. Zu Beginn konnte er noch keinen klaren Gedanken fassen und er scheute sich geradezu panisch davor, an die Zukunft zu denken. Stattdessen malte er sich, wenn er unter der alten Weide saß, eine Szene in seinem einsamen Kopf aus.
    Jenseits der Scheibe musste auch Guinievaire feststellen, dass sie sich nach ihrem gescheiterten, selbst initiierten Fluchtversuch ganz und gar nicht so unbekümmert fühlte, wie sie es sich hatte einreden wollen. Das schlechte Gewissen plagte sie durchaus ein wenig, sah sie auf Tony herab, der Tag für Tag treu und pünktlich wie ein Uhrwerk unter ihrem Fenster auftauchte und ihr voller Hoffnung entgegen blickte. Zu Beginn hatte sie sich dabei noch darauf beschränkt, ausgesprochen trotzige Gedanken zu hegen und hatte ihm die Schuld gegeben: warum war er ausgerechnet zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt erschienen? Und warum hatte er überhaupt so lange gebraucht, um sie zu finden? Sie war ihm sehr böse, aber mit der Zeit ließ sich zugleich kaum noch leugnen, dass Guinievaire auch sehr gerührt war darüber, dass er hier war, und sie war ebenso sehr durchaus ein wenig beeindruckt, denn es musste ihn viel Geduld gekostet haben, sie zu finden. Und wenn man es recht bedachte, er hätte sie auch sehr bequem loswerden können, nachdem man sie voneinander getrennt hatte. Aber er war doch hier und machte damit deutlich, dass er unbedingt mit einem Mädchen zusammen sein wollte, das man in ein winziges Zimmer gesperrt hatte und das es dennoch fertig gebracht hatte in seiner Abwesenheit mit einem anderen Mann zu schlafen. Manchmal sagte die böse, kleine Stimme in Guinievaires Kopf, es wäre seine eigene Schuld, denn er hatte die Pflichten eines Verlobten schimpflich vernachlässigt, schon bevor man sie getrennt hatte. Guinievaire wusste jedoch leider nur allzu gut, dass diese Ausrede nicht wirklich viel taugte und sie verantwortlich war für ihre eigene, sehr bewusste Untreue. Sie war einmal fest entschlossen gewesen, die Beziehung mit Tony ernst zu nehmen und

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