Ein sinnlicher Schuft
Handvoll männlicher Erregung.
Vorbei war es mit dem fröhlichen Geplauder, der Ungezwungenheit. Sie saßen beide schweigend da, vermieden krampfhaft jedes Schaukeln und Ruckeln der Kutsche. Kein Geräusch war zu hören als das Klappern der Pferdehufe, das Rollen der Räder und das Knarren der Wagenfedern.
Pru versuchte sich, so gut wie es ging, hinter Melody zu verstecken, die als Einzige völlig unbefangen war und zunehmend Evans Nähe suchte, zu dem sie sofort voller Bewunderung aufgeschaut hatte. Und es war ihr egal, ob der Junge das wollte oder nicht.
Das Gefühl, einen kleinen, sich windenden Körper in den Armen zu halten, war Pru seltsam vertraut. Sie hatte Evan vom Tag seiner Geburt an über alles geliebt und ihn ständig mit sich herumgeschleppt, als sei er eine lebendige Puppe, und sich kaum dazu bewegen lassen, ihn wenigstens so lange freizugeben, dass ihre Mutter ihn versorgen konnte.
Nun, so würde sie sicher nicht für Melody empfinden, auch wenn die Kleine bezaubernd war. Sie musste trennen zwischen bezahlter Arbeit und familiärer Bindung. Außerdem war es das Letzte, was sie gebrauchen konnte: einen weiteren Menschen, für den sie sich verantwortlich fühlte.
Nein, wenn sie nett und freundlich war, dann reichte das. Sie brauchte sich nicht zu benehmen, als sei sie die Mutter. Doch wer war die Frau, die Melody zur Welt gebracht hatte? Und wer ihr Vater? Mr Lambert sprach von seinem »Mündel«. Ein sehr vager Begriff, der alles Mögliche bedeuten konnte, angefangen von einer entfernten verwaisten Verwandten bis zum eigenen illegitimen Kind.
Weder das eine noch das andere geht dich etwas an. Pass auf das Kind auf. Verdien dir die fünf Pfund. Fahr nach London und versuch zu überleben.
Trotzdem: Die kleine Melody war ein sehr nettes Mädchen. Etwas umtriebig zwar, aber blitzgescheit und sehr redegewandt für ihr Alter. Evan war als Kleinkind völlig anders gewesen. Eher schweigsam veranlagt hatte er überwiegend mit Gesten seine Wünsche geäußert oder gleich losgebrüllt. Manchmal tat er das noch immer.
Pru lächelte müde, als sie zu ihm hinüberschaute und die Wolke des Unmuts auf seiner Stirn sah. Der arme Junge hatte bereits so viele schlechte Erfahrungen machen müssen, dass es nicht weiter verwunderte, wenn er neuen Situationen gegenüber nicht gerade aufgeschlossen war. Es mochte riskant ein, mit einem wildfremden Mann zu einem unbekannten Ziel zu reisen, aber was sonst hätten sie tun können?
Sie seufzte. Irgendwo tief drin in Evan verbarg sich nach wie vor der liebe Junge, der mit kluger Neugier und aufgeschlossen für alles Neue jeden neuen Tag begrüßt hatte. Manchmal entdeckte sie ihn noch, wenn sie allein waren, jedoch immer seltener.
Melody hüpfte strahlend auf und ab und beugte sich aus Prus Armen, um Evan mit einem einladenden Lächeln ins Gesicht zu sehen, aber der Junge warf der koketten Kleinen bloß einen zornigen Blick zu und schaute wieder blicklos in die vorbeiziehende Landschaft, gerade aufgerichtet, die Hände auf den Knien.
Nachdem sich der Schock des unerwarteten engen Körperkontakts gelegt hatte, musterte Pru ihren Begleiter unter gesenkten Lidern verstohlen von der Seite. Irgendetwas an ihm passte nicht richtig zusammen. Er sah nicht aus wie ein Dandy, obwohl er sich bestimmt bei einem der besten Schneider ausstatten ließ. Aber die Sachen wirkten seinem Alter nicht angemessen, waren zu konventionell und ein wenig trist. So kleideten sich ältere Herren, dachte Pru. Und das, obwohl er umwerfend attraktiv war. Allerdings konnte sie sich nicht vorstellen, dass er Chantals Typ war. Dazu fehlten ihm der entsprechende Adelstitel sowie Besitz und echter Reichtum. Geld und Macht war das, was Chantal erwartete. Und vermutlich reichte ihr das, was dieser hübsche junge Mann zu bieten hatte, nicht länger. Zum Glück für ihn vermutlich.
Die Kutsche rumpelte erneut in ein Schlagloch, und wieder wurde Pru gegen Mr Lambert geschleudert. Er warf ihr einen raschen Blick zu. »Alles okay?«
Sie rückte schnell von ihm ab und nickte, um sich dann wieder ihren Gedanken hinzugeben. Sie war hungrig, und das Holpern auf der unebenen Straße versetzte ihren Magen in Aufruhr. Zu dumm, dass sie keine Zeit mehr gehabt hatte, schnell noch etwas zu essen. Diese Gleichgültigkeit war typisch für die bessere Gesellschaft. Mr Lambert hatte bestimmt zuvor ein reichliches Mittagessen eingenommen.
Pru schluckte, biss die Zähne zusammen und gab sich große Mühe, an etwas anderes als
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