Ein sinnlicher Schuft

eindreschenden Männern, bei dem man kaum noch Einzelheiten erkennen konnte. Zwischendurch flogen Bierkrüge durch die Luft, um an einer Wand oder auf dem Boden zu zerschellen. Es schien fast, als würde wahllos jeder auf jeden einschlagen und als handele es sich um eine gigantische Prügelei. Der Rauch, der nach wie vor im Raum hing, trug zu dieser allgemeinen Verwirrung nur bei, verbarg aber auch gnädig die Tatsache, dass immer mehr Streithähne kampfunfähig am Boden liegen blieben und Lord Ardmore Gesellschaft leisteten. Darunter auch ein betrunkener Fuhrmann, der zahnlos im Schlaf grinste und zu schnarchen anfing.
    Es war eine verdammt gute Show!
    Melody quietschte vor lauter Begeisterung. »Eine Piratenmeuterei!«
    Evan lächelte amüsiert.
    »Schlag sie nieder, Onkel Colin!«
    Doch der hatte alle Hände voll zu tun, damit ihn einige Angreifer nicht zu Boden gehen ließen. Er blickte hinüber zu Rugg, der seiner Einschätzung nach für ihn Partei ergriff, soweit man das in dem Durcheinander feststellen konnte. Diesen Irrtum musste er teuer bezahlen, denn der hünenhafte Wirt hob ihn einfach hoch und warf ihn in die Ecke zu den bereits ausgeschalteten Kämpfern.
    » Verfluchter Mist!« Als er unter den halb Bewusstlosen eine goldverzierte Brust erspähte, begann er den Mann auszugraben. Er musste Ardmore irgendwie wieder zum Leben erwecken, sonst würde er Chantal niemals finden!
    Zu seinem Glück ebbte die Prügelei langsam ab. Die meisten lagen am Boden und leckten ihre Wunden, und der Rest begann Vernunft anzunehmen. Wenn sie den Schankraum kurz und klein schlugen, wo sollten sie dann künftig ihr Bier trinken? Die praktische Olive beschleunigte diesen Prozess, indem sie mit Prus Hilfe einen Waschzuber Eiswasser heranschleppte und über den letzten Kämpen ausschüttete.
    Dann wurde zum Rückzug geblasen, und einer nach dem anderen verließ das Gasthaus. Zurück blieben außer zerschlagenem Geschirr und demoliertem Mobiliar das Wirtsehepaar, das sich sogleich ans Aufräumen machte, Colin samt Begleitung sowie der Earl of Ardmore, der nach wie vor keinen Ton von sich gab.
    »Er ist bewusstlos.«
    Pru wischte sich mit dem Unterarm die Haare aus dem Gesicht. »Gut, dass wir ihn los sind.«
    Colin drehte sich zu ihr um und betrachtete sie fasziniert, vergaß völlig, was er eigentlich sagen wollte. Wie hübsch sie war– ihre Wangen waren leicht gerötet, und ihr dichtes rotbraunes Haar hatte sich aus der Haube gelöst und fiel ihr über die Schultern. Der Ausschnitt ihres Kleides saß schief, und ihre vollen Brüste wogten… Röte breitete sich über ihr ganzes Dekolleté aus– wie weit die wohl reichte?
    Wach auf, Mann!
    Colin musste sich mühsam von dem faszinierenden Anblick lösen. Was hatte sie gesagt? »Nein, nein. Gar nicht gut, dass wir ihn los sind. Ich kann Miss Marchant nur finden, wenn er aufwacht.«
    Olive stupste Lord Ardmore mit der Stiefelspitze an. »Tja, tot is er nicht. Ich kenn das schon. Der wird vor morgen früh nich wach.« Sie grinste Pru zu. »Ihr könnt über Nacht bleiben und beim Aufräumen helfen.«
    Sie nickte. »Klar.«
    Colin ärgerte sich zwar über die Verzögerung, aber er hatte keine Wahl. Was sonst sollte er tun? Er wusste ja nicht einmal die Richtung, die Chantal eingeschlagen hatte. Wenn er sich für die falsche entschied, würde er sie wahrscheinlich für immer aus den Augen verlieren.
    Miss Filby trat zu ihm und legte ihm mitfühlend die Hand auf den Arm. »Kommen Sie, Chef. Eine Nacht mehr macht doch keinen so großen Unterschied, oder?«
    Sie verstand nicht, wie delikat die Situation war, dachte Colin. Wie sollte sie auch?
    Sag es ihr.
    Schon öffnete er den Mund, um das Geheimnis zu lüften, aber in diesem Moment kam Melody mit Evan aus ihrem Versteck gerannt, stürzte auf ihn zu und ließ sich von ihm auf seine Hüfte setzen. Das Kind lehnte sich zurück, um sein Gesicht zu begutachten.
    »Du bist getroffen worden, Onkel Colin.« Sie deutete mit ihrem winzigen Finger auf sein sich rötendes Kinn. »Käpt’n Jack wird nie getroffen.«
    Colin seufzte. »Käpt’n Jack duckt sich schneller als ich.«
    Evan schob sich an seine Seite, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. »Ich hab auf Miss Mellie aufgepasst, Chef.«
    Colin legte eine Hand auf seine schmale Schulter. »Dafür danke ich dir«, sagte er ernst.
    Obwohl Evan die Achseln zuckte, erkannte Colin, dass der Junge sich freute. Dann warf Evan ihm einen wissenden Blick zu. »Is schon komisch.«
    Abgelenkt