Ein sinnlicher Schuft
»Da lang… oder vielleicht da. Was geht das Sie an?«
Colin kniff die Augen zusammen. »Erklären Sie sich, Mylord! Sie tragen die Verantwortung für die Dame.«
Baldwin schnaubte. »Dame?«
»Jedenfalls Dame genug, dass Sie ihr einen Antrag gemacht haben.«
»Ach das.« Der Earl winkte ab. »Damit wollte ich bloß Bertie eins auswischen. Ich könnte keine Schauspielerin heiraten. Denken Sie nur an meinen Rang! Außerdem ist sie längst nicht mehr so hübsch, wie sie mal war.«
»Nun, mit einer Heirat hätte sie Ihren Namen und den Titel einer Countess erhalten, das haben schon andere Peers vor Ihnen so gemacht. Und bestimmt gibt es schlechtere Verbindungen als…«
Colin unterbrach sich. Was tat er da? Er sollte erleichtert sein, denn Sinn der ganzen Verfolgungsjagd über englische Landstraßen war es schließlich gewesen, eine Verheiratung Chantals zu verhindern. Erst mit Bertram, dann mit Baldwin. Stattdessen zog er Ardmore zur Rechenschaft, weil der gar nicht an eine Ehe mit Chantal dachte.
Davon einmal abgesehen fand er das Verhalten allerdings schäbig. Chantal mochte sein, wie sie wollte– immerhin war sie Melodys Mutter, wie er zumindest glaubte. »Es wäre das Mindeste gewesen, dafür zu sorgen, dass sie sicher nach Brighton oder zu Ihrem Bruder oder wohin auch immer zurückkehrt. Sie dagegen haben sie ganz auf sich allein gestellt weggeschickt.«
»Geschickt? Die Hexe hat meinen Einspänner und mein Pferd gestohlen.« Seine Worte wurden mehrfach durch einen Schluckauf unterbrochen, ohne dass er es zu merken schien. »Ich wusste nicht mal, dass sie kutschieren kann. Und dann ist sie im vollen Galopp losgestürmt– und weg war sie.« Er nahm einen weiteren Schluck und wischte sich den Mund am Ärmel ab.
Zum ersten Mal schien er Colin wirklich wahrzunehmen. »Ich kenne Sie doch.« Er kniff die Augen zusammen. »Sie und die beiden anderen. Immer zu dritt.« Er schaute sich im Schankraum um. »Wo sind sie?«
»Anderswo.« Colins Stimme klang jetzt schärfer. »Lord Ardmore, sagen Sie mir nun, wohin Chantal gefahren ist, oder nicht?«
Tat er nicht. Vielmehr reagierte der Earl bockig. »Warum sollte ich das? Was habe ich mit Ihnen zu schaffen oder andersherum: Sie mit Chantal? Soll sie doch abhauen, die Schlampe. Ich jedenfalls will am liebsten nicht mehr an sie denken. Und Sie– Sie stören mich beim Trinken. Ich bin hier ganz glücklich. Ich habe gutes Bier und genug Kleingeld, kann also für den Rest der Woche hier sitzen und mich einen Dreck um Sie und diese verdammte Chantal scheren!« Er schaute tief in seinen Krug und murmelte dabei Unverständliches bis auf die Worte »diebische Hure«, um dann entschlossen dem restlichen Bier zu Leibe zu rücken.
Colin spürte, wie ihn jemand am Ärmel zog. Evan.
»Wieso stehn Sie da einfach nur rum? Ich dachte, Sie wärn bis über beide Ohren in die Alte verknallt. Hab geglaubt, ich krieg ’n Duell zu sehn.«
Colin schaute auf den Jungen hinab. »Evan, ein Gentleman bezeichnet eine Dame niemals als ›Alte‹.«
Evan schaute finster, doch eine leichte Röte verriet seine Verlegenheit. »Was gehn mich schon Damen und Gentlemen an?«, murmelte er. »Will bloß sehn, wie Sie ihm aus zwanzig Schritt Entfernung ein Ohr abschießen.«
Colin seufzte und blickte zu Ardmore hinüber. »Evan, Gewalt ist für nichts eine Lösung. Ja, ich bin sehr verärgert über sein Verhalten, aber selbst wenn ich ihn verprügeln würde, wäre das ohne Nutzen, so betrunken wie er ist.«
Evan verdrehte die Augen. »Sie können nich kämpfen, stimmt’s?« Er marschierte zu seiner Schwester zurück. »Kein Rückgrat, der Kerl.«
Nein, nur vernünftig. Ich bin ein gebildeter, logisch denkender Mann. Ich handle nicht impulsiv, und ich brülle nicht in Gasthäusern herum.
Aber wie sollte ein Straßenjunge diese Lebenseinstellung, die sich am Prinzip kultivierter Männlichkeit orientierte, verstehen?
Nur schien auch der Earl of Ardmore nichts damit im Sinn zu haben. Als Colin ihm den Rücken zukehrte, rülpste er bloß laut.
Unterdessen hatte Pru für Melody Milch bestellt und für Evan einen Kanten erstaunlich frischen Brotes, über den er sich soeben mit Heißhunger hermachte, und schwätzte jetzt ein bisschen mit der Schankwirtin, die sehr nett zu den Kindern war. Sie reichte ihr ein paar Münzen. »Das sind deine Blumen da draußen, stimmt’s? Du machst dir ordentlich Mühe, das Gasthaus hier ’n bisschen auf Vordermann zu bringen.«
Die Frau errötete vor Freude über
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