Ein sinnlicher Schuft
unverändert.«
»Mr Gaffin, Sir…«, krächzte Seth.
Der Dunkle schüttelte den Kopf. »Klappe, Seth. Und nenn mich nicht ›Sir‹. Du gehörst nicht mehr zu meinen Männern, bist ausgeschieden aus unserem Leben, erinnerst du dich? Um zurückzugehen in dein kümmerliches Dorf und Pferdeäpfel zu schaufeln.«
Seth fuhr sich mit der Zunge über die aufgeplatzten Lippen und spuckte Blut. »Ganz recht, S…, Mr Gaffin. Aber ich hab gehört, Sie wärn in der Nähe. Ich komm, weil ich Neuigkeiten für Sie hab.«
»Welche Neuigkeiten könntest du schon für mich haben, du Wurm?« Gaffins sanfter Tonfall wurde durch seine Wortwahl Lügen gestraft. »Hat die Welt bald keine Pferdepisse mehr?«
Raues Gelächter breitete sich in der Gruppe aus, bis Gaffin gebieterisch die Hand hob. »Spuck’s aus, Seth, bevor ich beschließe, dich als Zielscheibe beim Schießen zu benutzen.«
Der Knecht der Ruggs räusperte sich, weil seine Kehle ausgetrocknet war. »Ich weiß was über die Frau, die Sie suchen. Die Schauspielerin.«
Gaffin drückte den Rücken durch, stand da wie ein zum Sprung bereites Raubtier, was ihn noch gefährlicher aussehen ließ. »Chantal«, hauchte er.
Seths Worte überschlugen sich jetzt, purzelten nur so aus seinem Mund heraus. »Sie is mit Lord Ardmore, dem Earl, zum Gasthaus gekommen, aber nich lang geblieben. Hat mich sofort erkannt und war weg wie ein geölter Blitz. Mit dem Einspänner von Seiner Lordschaft, den sie sich so mir nichts, dir nichts unter den Nagel gerissen hat.«
Die Kälte, die von Gaffin ausging, hätte ausgereicht, die Flammen des Fegefeuers zu ersticken. »Ardmore hat gesagt, sie wollte aus Brighton weg. Und da wusste ich, dass sie vor Ihnen davonrennt.« Seth würgte seine Angst hinunter und redete weiter. »Aber da is noch’n Kerl im Gasthaus, auch so’n feiner Pinkel. Der sucht sie ganz dringend, sagt, er muss sie finden, und hat Lord Ardmore grün und blau geschlagen, bloß weil er nich gleich mit der Sprache rauswollte.«
Gaffin kniff die Augen zusammen. »Ach ja?« Ruckartig hob er das Kinn, offensichtlich für seine Männer das Signal zum Aufbruch, denn sogleich begannen sie, das Lager abzubrechen und die Pferde zu satteln.
Gaffin trat ans Feuer und blickte in die Flammen. Um ihn herum herrschte hektische Betriebsamkeit, nur er bewegte sich nicht. Stand da wie eine Salzsäule, und es schien, als würde er nichts wahrnehmen von dem, was um ihn herum vorging.
Und so war es auch. Seine Gedanken waren auf anderes gerichtet– auf einen anderen. »Niemand fasst Chantal an«, flüsterte er den Flammen zu. »Niemand außer mir.«
Colin war schlecht vorangekommen. Noch immer hatte er Chantal nicht eingeholt, obwohl der Mond längst am Himmel stand. Deshalb ritt er trotz der Dunkelheit weiter, solange es eben ging. Immerhin hatte er unterwegs ein paar Leute getroffen, die sich an eine hübsche Frau im Einspänner zu erinnern meinten, sodass er zumindest einigermaßen sicher sein konnte, dass die Richtung stimmte.
Allerdings ließ sich den Auskünften ebenfalls entnehmen, dass sie ihm mindestens einen Tag, wenn nicht zwei voraus war. Sie schien erstaunlich gut allein klarzukommen. Miss Filby behielt mal wieder recht: Chantal war keineswegs so hilflos, wie er sich gerne einredete.
Das Schlimmste an der Verzögerung war Melody.
Er würde viel länger fort sein als geplant und sie bestimmt nicht heute Abend ins Bett bringen können. Es war unklug, in solcher Hast aufzubrechen, anstatt die Sache gründlich zu überdenken. Und dazu solch ein unhaltbares Versprechen zu geben.
Er hätte nicht gehen und Melody verlassen dürfen. Auch Pru nicht. Es schmerzte ihn, wenn er sich an den Blick aus zwei grauen und einem blauen Augenpaar beim Abschied erinnerte. Und ein Bild aus längst vergangenen Tagen tauchte vor seinem inneren Auge auf. Ein kleiner Junge, der mit kurzen Beinen die Landstraße hinter einer davonfahrenden Kutsche entlangstolperte. »Papa! Lass mich nicht hier! Papa, komm zurück! Papa!«
Melodys Weinen und ihr entsetztes Nein! Er wollte niemals so werden wie sein Vater. Er hatte ihn wegen seines Verhaltens verachtet und sich geschworen, seine Familie, so er denn je eine haben würde, niemals im Stich zu lassen. Und doch hatte er es getan. Zwar gab es gute Gründe, aber wer wüsste die nicht vorzubringen. Einem Kind war das alles egal. Ihm damals genauso wie Melody heute.
Der Schmerz, den er dem Mädchen, das er für seine Tochter hielt, zugefügt hatte, war
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