Ein sinnlicher Schuft
versagte es sich, die Augen zu verdrehen. Schließlich war Seine Lordschaft noch jung und lernfähig. Und wirklich kapierte der junge Mann schnell, denn schon flackerte ein entschlossenes Leuchten in seinen Augen auf. »Das könnte ich tun. Ich muss sie nur finden und dafür sorgen, dass sie mich akzeptiert.«
»So ist’s richtig. Nur Mut, Mylord. Holen Sie sie sich!«
Ardmore drückte den Rücken durch und zog sein Halstuch gerade. »Bei Gott, das werde ich.«
Bailiwick machte eine Verbeugung, jetzt ganz der ehrerbietige Diener, und verabschiedete sich, um zu seinem Albtraum von Pferd zurückzukehren.
Er war schon eine Meile die Straße hinuntergeritten, als ihm aufging, dass er gerade Lord Bertram darin bestärkt hatte, sich ausgerechnet die Frau zu holen, auf die es Sir Colin abgesehen hatte.
»Verdammt.«
Balthazar wieherte– schadenfroh, wie Bailiwick fand– und trabte vergnügt weiter.
Vierundzwanzigstes Kapitel
S ie brauchten fast den ganzen Tag, um das Gasthaus wieder in einen Zustand zu versetzen, der Olives Ansprüchen genügte. Natürlich dauerte mit Melodys »Hilfe« alles ein wenig länger, doch die beiden Frauen wollten ihre fragile Stimmung nicht zusätzlich gefährden. Wie verändert sie war, wurde daran deutlich, dass sie weder von Piraten noch von Colin sprach. Lediglich an sein törichtes Versprechen, rechtzeitig für eine Gutenachtgeschichte zurück zu sein, schien sie sich zu klammern.
Selbst Evan spürte ihren Kummer und war ungewöhnlich nett zu ihr, schlug, um sie abzulenken, sogar ein Picknick vor, für das Olive ihnen Brot und Käse in einen Korb packte, und schickte sie zu einem hübschen Plätzchen, wo gerade die Stachelbeeren reif wurden. »Die Kleine wird einen Tag im Freien genießen«, meinte die Wirtsfrau.
Einst stand dort eine Abtei, aber es waren nur noch ein paar Pfeiler und Spitzbögen übrig, den Rest hatte die Natur zurückerobert in Gestalt einer Wiese mit bunten Blumen und wildem Wein, der die Ruinen überwucherte und im Sonnenschein glänzte. Die alten Steine schimmerten weiß daraus hervor wie Knochen, und es sah beinahe so aus, als hätte einst ein riesiges, anmutiges Fabeltier diesen Ort ausgewählt, um hier seinen letzten Atemzug zu tun.
Melody rannte über die verzauberte Wiese, und ihre kurzen Beinchen überschlugen sich fast bei dem Versuch, mit Evan Schritt zu halten. Ihre kleinen Hände hielt sie nach vorn gestreckt, um die Blüten von Rittersporn, Mohnblumen und gelben Löwenmäulchen zu berühren, die von dem vor Jahrhunderten angelegten Klostergarten übrig geblieben waren.
Sie fanden eine gemütliche Ecke, wo die Sonnenstrahlen von den alten Steinen warm zurückgeworfen wurden und wo es sogar noch den Rest eines Daches gab. Ein Schäfer schien hier irgendwann sein Lager aufgeschlagen zu haben, denn sie entdeckten eine Feuerstelle und in einer Ecke aufgeschüttetes Stroh.
Sowohl Pru als auch Evan bemühten sich nach Kräften, Melody mit allen möglichen Spielen abzulenken, allerdings ohne großen Erfolg, zumal sie ebenfalls das Gefühl hatten, dass jemand fehlte. Ein Schatten lag auf dem schönen Tag.
Als sie in der einbrechenden Dunkelheit zum Gasthaus zurückgingen, hatte Pru das Gefühl, als sei dies nicht der letzte schöne Moment gewesen, den Colin wegen Chantal versäumte.
Eine Gruppe von Männern hatte sich um ein Lagerfeuer versammelt. Einige widmeten sich ihren Waffen, andere ihren Whiskyflaschen. Ein paar erzählten Geschichten von einem furchterregenden weißen Ross, das aus seinen Nüstern Feuer ausgestoßen habe, und seinem riesigen Reiter, denen sie kürzlich nur mit Not entkommen konnten. Ein Stück abseits der Gruppe, halb im Schatten und halb im tanzenden Feuerschein, stand ein Mann. Trotz seiner gefälligen Gestalt und seines attraktiven Gesichts wirkte er dunkel und gefährlich. Und in seinen Augen loderte Besessenheit.
Ein Ruf erklang außerhalb des Kreises. Die Männer sprangen sofort auf, griffen zu den Waffen. Ein Wachposten erschien, der einen gefesselten Mann vor sich hertrieb. Ohne ein Wort zu verlieren, verließ einer der Männer die Feuerstelle, um statt seiner die Wache zu übernehmen, während der Gefangene vor dem dunklen Mann auf die Knie geworfen wurde. Stöhnend hob er die Augen und schaute den Anführer der Gruppe an.
Der neigte den Kopf zur Seite und zeigte ein falsches Lächeln. »Hallo, Seth. Schlimm siehst du aus, kaum wiederzuerkennen. Dein Gesicht ist ja völlig zu Brei geschlagen… Nur deine Haare sind
Weitere Kostenlose Bücher