Ein Sixpack zum Verlieben (German Edition)
La-Ola-Wellen mit einem gekonnten, absolut synchron getanzten Strip. Laura hätte nie vermutet, dass dies nichts Anrüchiges ist, sondern mit Ästhetik zu tun hat. Alle vier dürfen einen perfekten Körper ihr Eigen nennen. Selbst die Tätowierung von Frieder auf seinem Knackgesäß findet Laura plötzlich erotisch. Wenn sie bei Manfred in ihrer ersten Liebesnacht eine solche entdeckt hätte, wäre sie sicher vor Entsetzen davongelaufen. So ändern sich offensichtlich die Zeiten. Ob Max vielleicht auch ein Tattoo besitzt, von dem sie nichts weiß? Na ja, Mütter müssen von ihren Kindern, wenn sie erwachsen sind, auch nicht alles wissen. Außerdem erspart dies Kummer und Sorgen!
„Jetzt, Arme hoch!“, kommandiert die Stimme neben ihr.
Das junge Mädchen an Lauras linker Seite und viele andere springen auf ihre Plätze, um die Chance, einen Schal zu ergattern, zu erhöhen.
Schon treten die Sunnyboys nur noch mit Tangas und besagten Schals bekleidet ganz vorne an den Bühnenrand. Mit einem gekonnten Ruck reißen sie das Objekt der Begierde synchron vom Hals und schleudern es in die Menge.
Obwohl es die Platznachbarin zur Rechten nicht auf den Stuhl geschafft hat, kann sie Frieders Schal fangen. Sie bricht vor ungeahntem Glück fast in Tränen aus, presst das Kleidungsstück an ihr Gesicht und saugt den Geruch wie ein Staubsauger ein. Auf einmal hält sie es Laura vor Freude strahlend hin. „Da, Sie dürfen auch mal riechen!“
Laura weicht intuitiv zurück. „Danke, sehr freundlich, aber behalten Sie den Schal ruhig!“
Dagegen schnellt von links ein Arm an Laura vorbei und ergreift blitzartig das Zielobjekt.
„Ich will, ich will!“, seufzt das Mädchen und versinkt mit der Nase im Tuch. Ihre Freundinnen stimmen in das Freudengejaule ein, und die ursprüngliche Besitzerin befürchtet, dass sie ihre Trophäe für immer verloren hat.
„Helfen Sie mir!“, geht die Bitte an Laura.
Zum Glück wandert in diesem Moment ganz von selbst das Gewünschte wieder zu ihr zurück. Fans halten eben zusammen und gönnen anderen ihren Spaß.
Laura ist erleichtert, denn sie hat wirklich keine Lust, um einen schweißgetränkten Schal mit wildfremden Menschen zu rangeln.
Allmählich geht ihr die Frau auf den Nerv, durch die sie den Höhepunkt des Strips verpasst, denn die Jungs lassen die letzte Hülle vom Körper reißen, bevor der Saal komplett verdunkelt wird und der Vorhang fällt.
Es ist kaum zu beschreiben, wie laut es wieder wird. Rhythmisches Klatschen, Füße trampeln und natürlich Geschrei ohne Ende. Erneute Rufe nach Joe werden laut. Schon komisch, dass Zuschauer nach dem Manager auf der Bühne verlangen. Laura wundert sich jedoch inzwischen über nichts mehr. Ihre Nachbarin hat sich den Schal um den Hals geschlungen und scheint fast an ihrem abartigen Geschnüffel zu ersticken. Laura kann es egal sein. Dann ist sie für die restliche Vorstellung außer Gefecht. Aber man soll die Show nicht vor dem Ende loben. Sie hält für Laura noch eine besondere Überraschung bereit, die selbst Kerstin in Erstaunen versetzen würde. Manche Dinge werden scheinbar vom Himmel aus gelenkt.
Schade, dass die Freundin dieses Spektakel nicht miterlebt. Was würde Laura darum geben, anschließend mit ihr eine Bar aufzusuchen und über den erotischsten Sixpackboy zu philosophieren und ihren Geburtstag ausklingen zu lassen.
Es folgen weitere drei Tanzeinlagen, bei denen Sebastian, Felix, Moritz und Frieder einmal in Pilotenuniform, dann in Ritterrüstung und zuletzt als Ärzte ihre Körper den gierigen Blicken der Zuschauerinnen nach und nach preisgeben. Jedes Mal landet zum Schluss ein Kleidungsstück in der brodelnden Menge und verzückt die Weiblichkeit.
Laura, die sich am Anfang der Vorstellung vorgenommen hatte, in der Pause zu verschwinden, hat es sich längst anders überlegt. Während der Darbietungen hat sie immer mehr Gefallen an der ästhetischen Show gefunden und fast Verständnis für ihre Nachbarin, die den Seidenschal immer noch um den Hals drapiert trägt.
Der Moderator kündigt souverän die bevorstehende Pause an: „Nun gönnen wir den Jungs ein kurzes Atemholen, und die Wiederholungstäterinnen unter euch wissen, was euch gleich erwartet.“ Dabei haucht er eine Kusshand ins Publikum, was immer die zu bedeuten hat.
Laura weiß es natürlich nicht, aber die Trophäenbesitzerin jauchzt geradezu: „Wollen wir uns an der Pausenbar einen Prosecco gönnen? Ich lade Sie ein. Habe ja noch etwas gutzumachen.“
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