Ein Sixpack zum Verlieben (German Edition)

zu wenig bekommen haben. Allerdings konnte das auf Manfred durchaus zutreffen. Hatte er als Kind nicht sogar ein Kindermädchen, obwohl seine Mutter alle Zeit der Welt hatte, sich selbst um ihn zu kümmern?
    Ihre Gedanken an die Vergangenheit werden jäh unterbrochen, als sich eine ältere Dame vergeblich an ihr vorbeiquetschen will. Laura muss notgedrungen aufstehen, wobei ihr die Frau lächelnd mit ihrem ganzen Gewicht auf den rechten nackten Fuß tritt, denn die High Heels sind längst unter dem Vordersitz deponiert.
    „Autsch! Der untere war meiner!“, heult Laura auf und lässt sich schmerzverzerrt wieder auf den Stuhl plumpsen. Das wird sicher ein riesiges Hämatom geben. Nicht auszudenken, was das im Hinblick auf das Tragen der Motorradstiefel bedeutet, die so eng am Fuß anliegen.
    „Es tut mir leid!“, lässt ihre neue Sitznachbarin schnaufend verlauten. „Ich habe den Bus verpasst und musste befürchten, zu spät zu kommen. Dabei habe ich lange gespart, um mir das Ticket heute Abend hier leisten zu können. Aber man gönnt sich ja sonst nichts, gell?“, fährt sie strahlend fort. „Schaut Ihr Mann heute auch Fußball? Ich bin froh, dass mich meiner deshalb nicht begleiten wollte, denn ich habe ihm selbstverständlich nicht gesagt, um was für eine Show es sich handelt.“
    Wovon spricht sie ?, überlegt Laura. Warum soll ihr Mann etwas gegen ein Kabarett haben? Insgeheim wundert sie sich allerdings über den Frauenüberschuss, der ein Durchschnittsalter von höchstens fünfundzwanzig Jahren hat. Die Jugend von heute hat sich wohl sehr verändert. Laura wäre es als junges Mädchen früher nicht im Traum eingefallen, ins Kabarett zu gehen. Da war Kino oder Tanzen angesagt. Aber auch Max hat kein Interesse an dieser Art Unterhaltung. Einmal im Jahr besuchen Laura und Manfred die Lach- und Schießgesellschaft, wie das bekannte Kabarett in München heißt. Darauf hat Helene glücklicherweise keine Lust. Mit politischem Mist, der auch noch durch den Kakao gezogen wird, wie sie meint, kann sie nichts anfangen. Laura hegt dagegen den begründeten Verdacht, dass Helene die Pointen ohnehin nicht verstehen würde und nicht riskieren möchte, möglicherweise an der falschen Stelle zu lachen.
    Inzwischen hat ein ganz junges Ding neben Laura auf der anderen Seite Platz genommen. Aufgeregt schnattert es mit seiner Freundin, während es an einem Transparent auf seinem Schoß nervös herumzupft .
    Laura runzelt die Stirn. Sind die Kabarettdamen so berühmt, dass Mädchen mit Transparenten erscheinen? Sie hat jedenfalls noch nie zuvor von einer Kabaretttruppe mit dem Namen Ladies Dreams gehört. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn Laura bekommt in Bad Hollerbach eher selten mit, was sich in München und in der restlichen Welt im Kulturzirkus Neues ereignet. Manfred weiß da wesentlich besser Bescheid. Schließlich wird er oft von Mandanten eingeladen und muss Small Talk führen.
    In diesem Moment breitet das Mädchen mithilfe weiterer Freundinnen, die anscheinend als Fanklub angetreten sind, die Stoffbanderole aus. Laura fallen fast die Augen aus dem Kopf, als sie den Text liest:
     
    Joe, wir wollen alle ein Kind von dir, dein Fanklub aus Wanne-Eickel.
     
    Sofort fangen die anderen Zuschauerinnen ohrenbetäubend zu kreischen an, und auch Lauras Nachbarin zur Rechten stimmt mit ungeahntem Stimmvolumen ein, was ihre Massen gefährlich in Lauras Richtung zum Schwingen bringt. So etwas Verrücktes hat Laura noch nie erlebt. Ist sie vielleicht unter Lesben geraten? Aber Joe ist doch ein männlicher Name. Bevor Laura weiter darüber nachdenken kann, schwillt der Lärmpegel um mindestens weitere geschätzte fünfzig Dezibel an. Das Lied Sex bomb von Tom Jones hält dagegen, und der vor den Vorhang tretende Moderator muss sich mehrmals Gehör verschaffen, bevor sich das Gekreische endlich in Grenzen hält. Gilt ihm das Transparent? Wem sonst? Laura scheint das Rätsel gelöst zu haben.
    „Ausziehen, ausziehen!“, schallt es plötzlich in Sprechchören an Lauras Ohr, die spätestens jetzt nicht mehr sicher ist, ob hier alles mit rechten Dingen zugeht.
    Den Moderator scheint diese Begrüßung gar nicht zu wundern, denn er strahlt mit blitzweißen Zähnen in die Menge. „Herzlich willkommen euch allen! Ihr seid heute die Königinnen der Nacht ! Die Jungs sind schon ganz heiß auf euch und können es kaum erwarten, euch eine einzigartige Show zu bieten, die ihr nie mehr vergessen werdet.“
    Jungs? Laura kapiert gar